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„Es ist vorbei," sagt der Mann am vordem Riemens in eigentüm¬
lichem Tone. „Wäre es nicht besser, wieder an Bord zu rudern? Die
Laternen des 'Seestern' entfernen sich immer mehr und sind bisweilen
schon verschwunden." „Horch, da ist es wieder!" ruft ein Bootsgast. „Ich
höre nichts," sagt der lauschende Bootssteurer. „Ich auch nicht," läßt sich
der Mann am vordem Riemen wieder vemehmen. „Wir müssen an Bord
zurück," fährt er in einem Tone fort, der fast drohend klingt. „Holt noch
einmal aus!" ermuntert der Kadett die Leute, „vielleicht glückt es uns jetzt,
ihn zu finden." „Wir wollen nicht hoffen," sagt der vorige Sprecher, „daß
Sie gesonnen sind, die Nacht hier zu verbringen." „Das beste ist umzu¬
kehren," äußert jetzt auch Schramm, „die Fregatte ist außer Sicht."
Der Ausdruck in den Gesichtern der übrigen Leute verkündet nichts
Gutes; doch der Kadett läßt sich dadurch nicht einschüchtem. Vogel ist
zwar leichtsinnig, jedoch energisch und hat das Herz auf dem rechten Fleck.
„Tut, was ich befehle!" herrscht er den Leuten zu; „solange noch eine
Aussicht bleibt, soll sie nicht verloren gehn. Wir wollen noch einmal luv¬
wärts versuchen." Die Leute beginnen wieder zu rudern; der Ernst des
Kadetten, der plötzlich zum Manne gereift scheint, macht tiefen Eindruck.
Jedoch der frühere Eifer ist geschwunden; ein geheimnisvoller Einfluß be¬
herrscht sie, und ihre düstern Mienen verkünden, mit welchem Widerstreben
sie dem Befehle Folge leisten?- „Hier ist er endlich, ich sehe ihn, dicht aus
der Seite," ruft aufspringend der Kadett und stürzt in seinem Eifer, den
vermeintlichen Gegenstand zu erfassen, fast über Bord. O Gott! es ist nur
die Mütze des Armen, der Körper fehlt. Doch dieser muß in der Nähe
sein, und jeder strengt die Augen an, um den Verlorenen zu erblicken.
„Da ist er!" ertönt es aus aller Munde zugleich. Kein Zweifel mehr, der
Gesuchte schwimmt auf das Boot zu. „Frisch zu, mein Junge!" ruft ihm
der Kadett freudig zu und streckt ihm ein Ruder entgegen, „noch ein paar
Stöße, und wir haben dich an Bord."
Plötzlich stockt die schwimmende Bewegung. Kaum berührt das Ruder
die Oberfläche des Wasser, als eine Welle von Schaum das Boot über¬
schüttet und es fast zum Sinken bringt. Es zittert und bebt, als sei es
zerschmettert. Niemand äußert einen Laut; die Augen sind starr vor
Schrecken, kalter Schweiß steht vor der Stirn, und Totenblässe überzieht
das Gesicht. Unwillkürlich klammern sich alle an die Seiten des heftig
hin- und herschwankenden Bootes, als wollten sie es stützen. „All¬
mächtiger Gott, der arme Ernst!" ruft jetzt der Bootssteurer. „Was ist
damit?" fragt der Kadett, der vergebens den vorhin gesehenen Gegenstand
zu unterscheiden sucht, aber allein seine Ruhe behalten hat. „Ein HaU
1) Riemen = Ruder.
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