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In einer Nacht ist dieses Kind auf einer ärmlichen Stelle ge⸗
boren worden, und diese Nacht wird jetzt von einer ganzen Welt
gefeiert.
Und wie in jener Zeit, ehe das Kind geboren worden ist, die
Menschen auf den Erlöser harrten und gerufen haben: „Himmel,
tauet ihn herab!“ was in der römischen Sprache rorate hieß, so be—
reitet sich die Kirche im Advent zu dem Geburtsfeste des Kindes
vor, und der Priester der katholischen Kirche hält Meßopfer, die
Rorate heißen, und die bis zu dem ersehnten Tage dauern.
Und in welche Zeit des Jahres fällt das Fest! Wenn zu
Pfingsten alles grünt und duftet, wenn zu Ostern Feld und Garten
und Wald sich zu dem holden Lenze rüsten, so ist die Weihnacht zu
der Zeit des kürzesten Tages und der längsten Nacht. Und dennoch,
wie ahnungsreich und herzerfüllend ist die Zeit! Wenn der Schnee
die Gefilde weithin bedeckt und in heitern Tagen die Sonne ihn
mit Glanz überhüllt, daß er allerwärts funkelt, wenn die Bäume
degs Gartens dies weißen Zweige zu dem blauen Himmel strecken,
Und wenn die Bäume des Waldes, die edlen Tannen, ihre Fächer
mit Schnee belastet tragen, als hätte das Christkindlein schon lauter
Christbäume gesetzt, die in Zucker und Edelsteinen flimmern, so
schlägt das CGemüt der Feier entgegen, die da kommen soll. Und
selbst wenn düstere dicke Nebel die Gegend decken oder in schnee—
loser Zeit die Winde bleigraue Wolken herbeijagen, die Regen und
Stürme bringen, und wenn die Sonne tief unten nur zuweilen matt
durch den Schleier hervorblickt, so können fromme Kinder einen
Glanz durch den Nebel oder durch die bleigrauen Wolken ziehen
sehen: das Christkindlein schwebt vorüber; denn es rüstet sich schon
lange Zeit zu seinem Geburtsfeste, um den Kindern zu rechter Zeit
ihre Gaben zu bescheren.
Endlich kommt der Tag, an welchem die Kinder in der Stadt
die unzähligen Bäumchen sehen, als wäre ein junger grüner Wald
in die Gassen und auf die Plätze gewandert. Die Bäumchen werden
in die Häuser getragen und dort in einem verschwiegenen Zimmer
aufgestellt, damit das Christkindlein, wie ihnen die Eltern sagen,
heimlich seine Gaben darauf befestige. Auch den Kindern auf dem
Lande wird gesagt: morgen, übermorgen, wenn die Nacht erscheint,
stellen wir ein Tannenbäumchen in die Stube, in die Kammer, und
das Christkindlein wird es mit Geschenken behängen.
Und endlich kommt die heilige Nacht. So kurz die Tage sind,
so hat doch an diesem Tage die Nacht gar nicht kommen wollen,
Und immer und immer dauerte der Tag. Das Christkind aber gibt
die Gaben nur in der Nacht seiner Geburt. Und sie ist jetzt gar