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die Mandelbãume geklettert, die man hier und da im Weinberge
duldet, weil ihr dünnes Laub nicht viel Schatten wirft und also
den Trauben die Sonne nicht sonderlich wegnimmt. Die Mandeln
hängen jetzt lose in der grünen Schale, der „Kolte“, ein Zeichen,
daß sie reif sind: unter Jubel werden sie von den Knaben mit
langen Stangen heruntergeschlagen und in Säcke gesammelt.
Aber die Oktobertage sind kurz. Immer häufiger höõrt
man den Herrn verweisend sagen: „Da hat schon wieder je—
mand eine hängen lassen! Da ist ein ganzer Stock übersprun-
gen! Da sind die Beeren nicht gerafftl“ — „Wir wollen lieber
Jufhören!“ sagt er auf einmal, „es wird zu dämmerig: Feier-
abend, ihr Leutel „Feierabend!“ schallt es fröhlich zurück,
und wiederum sammelt sich die ganze Gesellschaft am alten
Sleintische zum vergnüglichen Feierabendtrunke; gar manches
Mal werden die Gläser gefüllt und immer wieder leer. Das
Feuer wird aufs neue geschürt, und sein knisterndes und lo-
dermmdes Aufflammen antwortet auf die zahllosen Herbstfeuer-
chen, c.2 in weiter Runde aufblitzen. Einer der Leser, ein lusti-
ger Bursech, der bei der Garde gedient hat und den ganzen Tag
Schon durch seine Schnurren die andern erheiterte, hat eine
Harmonika mitgebracht; damit begleitet er nun die Lieder vom
Morgenrot, Morgenrot! oder vom grünen Kklee und weißen
Schnee, und was da alles gesungen wird; plötzlich aber geht er
in eine Tanzweise über, und siehe da! die anscheinend so mũ—
den Beine fühlen sich zauberisch angeregt, und in munterm
Reigen hüpft alt und jung im Kreise um den Steintisch. Zum
pechiede - es ist nun völlig Nacht geworden — brennt der
alteste Sohn einige Schwärmer und Frösche los, die krachend
ud Ascend und unendlichen Jubel erregend umherfahren, und
zu guter Letzt steigen auch noch ein paar Raketen in die Abend-
luftt Unter Gesängen geht es nun heimwärts; die Leserinnen
tragen ihre Büttchen auf dem Kopfe oder unter dem Arme.
Nurt darf niemand sich einbilden, sie sähen schmuck aus; viel-
mehr sind die Gewänder feucht und bespritzt, die Schuhe kotig,
Gesicht und Hände klebrig und schwarz.
Die Straßen des Städtchens aber sind vollgestopft mit
heimbehrenden Lesern und Fuhrwerken aller Art, die den Ernte-
segen heimbringen. Und so geht das nun wochenlang fort: es
ist ein Leben und Wogen, wie es eben nur einmal im Jahre
hier stattfindet — wenn es „Herbst“ ist, das aber seinen Höhe-
punkt erst erreicht in einem guten und reichen Weinjahr.
Karl Hessel, Deutsches Lesebuch.