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Durch den Urwald wurden für die Einwanderer Straßen geschlagen, an
denen rechts und links die Bauernhöfe liegen. Ein deutsches Dorf in Brasilien
besteht daher aus einer langen Zeile von Anwesen, die zumeist dem Laufe eines
Flusses folgen. In der Landessprache Brasiliens, dem Portugiesischen, heißt
eine solche Waldstraße „Picada“, und deshalb nennen auch die deutschen Bauern
ihr Dorf meistens „Pikade“. Man darf aber nicht glauben, daß sich der deutsche
Bauer im gewöhnlichen Leben der portugiesischen Sprache bedient; er ver—
steht nur die allernotwendigsten Redensarten der Brasilier und gebraucht im
täglichen Umgange nur die deutsche Sprache. Das Plattdeutsch der Pommern
und der Hunsrücker Dialekt der rheinischen Ansiedler sind überall in den Pikaden
verbreitet, und selbst Neger, die lange als Arbeiter unter den Deutschen lebten,
verstehen und sprechen hin und wieder den Dialekt der Bauern.
3. Sehen wir uns nun das Leben und Treiben in einer Pikade näher
an. Mit dem ersten Sonnenstrahl, sobald der Sabiä, die brasilische Amsel,
sein munteres Lied pfeift und der Tukan mit dem riesigen, gebogenen Schnabel
im dunkeln Laube der Orangen knarrt und krächzt, erwacht das Leben auf
dem Hofe. Noch weht die kühle, würzige Morgenluft, der Morgentau liegt
in blinkenden Tropfen auf Gräsern und Blüten, und an den gelbroten Glocken
der Malve, den brennendroten Gladiolen, den duftenden Rosen des Haus—
gärtleins schwebt und surrt der Kolibri im grüngoldenen, schillernden Kleide.
Die Tauben sitzen auf dem First des Maisschuppens und putzen das weiß⸗
bunte Gefieder; von fern tönt der dumpfgirrende Ruf ihrer wilden Schwestern.
Der Hahn kräht sein Morgenlied, und Gänse und Enten schnattern vergnügt
am Bache. Im dichtgezäunten Pferch grunzt und quiekt das Borstenvieh;
an langer Krippe stehen Pferde und Maultiere beim Mais, und das glatte,
breitgestirnte Hornvieh kaut mit unerschütterlicher Ruhe an den saftigen Stengeln
des Zuckerrohrs.
Bald liegt das Wohnhaus des Kolonisten verlassen da. Die Knaben
und Mädchen haben ihre Pferde aufgesattelt und sind zur Schule geritten, denn
der Weg ist meistens zu lang und zu schlecht, als daß er für Fußgänger zu
benutzen wäre. Alle übrigen Hausgenossen aber sind in die Pflanzung hinaus⸗
geeilt, um dort ihr Tagewerk zu verrichten. Die schwerste Arbeit für den
Ansiedler ist das Waldhauen. Mit der Art wird ein Stück Wald niedergelegt;
dann bleiben die mächtigen Bäume, wirr durcheinander hingestreckt, einige
Wochen in der Glut der Sonne liegen, bis der Bauer Feuer in den dürren
Wald wirft, daß es an allen Ecken knattert und prasselt, die rote Lohe
in mächtigen Garben aufschlägt und sausend in dem trockenen Holze weiter⸗