Full text: Mit 21 Abbildungen (Teil 3 = (6. - 8. Schuljahr), [Schülerband])

483 
8. Wen trägt man aus dem Kampfe dort auf den Eichenstumpf— 
„Gott sei mir Sünder gnädigl“ — er stöhnt's, er röchelt's dumpf. 
O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerspellt! 
O Ulrich, tapfrer Ritter, dich hat das Schwert gefällt! 
9. Da ruft der alte Recke, den nichts erschüttern kann: 
„Erschreckt nicht! der gefallen, ist wie ein andrer Mann! 
Schlagt drein! die Feinde fliehen!“ — er ruft's mit Donnerlaut. 
Wie rauscht sein Bart im Winde! hei! wie der Eber haut! 
10. Die Städter han vernommen das seltsamlist'ge Wort. 
„Wer flieht?“ so fragen alle; schon wankt es hier und dort. 
Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlied, 
der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied. 
11. Was gleißt und glänzt da droben und zuckt wie Wetterschein? 
Das ist mit seinen Reitern der Wolf von Wunnenstein. 
Er wirft sich auf die Städter, er sprengt sich weite Bucht: 
Da ist der Sieg entschieden, der Feind in wilder Flucht. 
12. Im Erntemond geschah es; bei Gott, ein heißer Tag! 
Was da der edlen Garben auf allen Feldern lag! 
Wie auch so mancher Schnitter die Arme sinken läßt! 
Wohl halten diese Ritter ein blutig Sichelfest. 
13. Noch lange traf der Bauer, der hinterm Pfluge ging, 
auf rost'ge Degenklinge, Speereisen, Panzerring; 
und als man eine Linde zersägt und niederstreckt, 
zeigt sich darin ein Harnisch und ein Geripp' versteckt. 
14. Als nun die Schlacht geschlagen und Sieg geblasen war, 
da reicht der alte Greiner dem Wolf die Rechte dar. 
„Hab' Dank, du tapfrer Degen, und reit mit mir nach Haus, 
daß wir uns gütlich pflegen nach diesem harten Strauß!“ — 
15. „Heil“ spricht der Wolf mit Lachen, „gefiel Euch dieser Schwank? 
Ich stritt aus Haß der Städte und nicht um Euren Dank! 
Gut' Nacht und Glück zur Reise! Es steht im alten Recht!“ 
Er spricht's und jagt von dannen mit Ritter und mit Knecht. 
16. Zu Döffingen im Dorfe, da hat der Graf die Nacht 
bei seines Ulrichs Leiche, des einzigen Sohns, verbracht. 
Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet sein Gesicht; 
ob er vielleicht im stillen geweint, man weiß es nicht. 
31*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.