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Scharfblick, er ist überall zur Stelle. Langsam werden die OÜsterreicher zurück—
gedrängt; aber ein Hagel von zischenden Kartätschen und platzenden Granaten
fährt zwischen den Baumstämmen hindurch von den Lipaer Höhen her, die
von niederdonnernden Kanonen starren. Die Sonne übergießt mit goldigem
Lichte die blutige Walstatt, wo Verwüstung und Tod immer fürchterlicher
hausen. Zahlreiche Verwundete strömen zurück. Manche schleppen sich in
schrecklichem Zustande fort, mit halbgespaltenem Kopf oder zerschossenem
Bein; ihr Blut rötet den Weg. Andre werden fortgetragen auf zusammen—
gelegten Gewehren. Auf den Verbandplätzen wimmern stöhnend die noch
schwerer Verletzten. Freund und Feind liegt an den Höhen von Sadowa
ohne Unterschied Seite an Seite, in Massen niedergeworfen. Ganze Batterien
haben alle ihre Pferde eingebüßt. Waffen, Tornister, Patronentaschen
liegen wie gesät am Boden. Mit betäubendem Knall platzen überall die
einschlagenden Granaten, deren Sprengstücke umherfliegen, die Näher—
stehenden mit Erde überschüttend. Das Gewehrfeuer rollt ohne Unter—
brechung. Die Kanonen spielen von allen Seiten. Der Wald von Mas—
lowed scheint wie lebendig von all den Höllengeschossen. Doch mit Mut
und Vertrauen bewegt sich auch die Elbarmee Herwarths von Bittenfeld
vorwärts, alles in glänzendem Angriff vor sich niederwerfend.
3. Aber mannhaft stemmen sich die grünröckigen Sachsen bei Problus
dagegen; andauernd wächst die riesige Übermacht Benedeks; die Armee
des „Roten Prinzen“, Friedrich Karl, kann nicht lange mehr allein die
Wucht des Kampfes ertragen. Eine Weile hält die kaltblütige Führung
Mollkes den ungleichen Streit noch aufrecht. Aber wie einst Wellington
auf seinem Feldstuhl geseufzt: „Ich wollte, die Nacht wäre da oder
Blücher“, so fragt jetzt jeder Preuße beklommen: „Wann kommt der
Kronprinz? Warum zögert er?!“
¶. Noch immer nicht. Sorgenvoll hält der königliche Greis auf seiner
braunen Stute vor seinem Gefolge. Granaten sausen über sein ehrwürdiges,
geweihtes Haupt weg; er achtet es nicht. Schwere Gedanken bestürmen
ihn. — Nach so glänzendem, unerhört schnellen Stürmen von Sieg zu
Sieg — soll dies das Ende sein? Geht die große Schlacht verloren, so
sind alle Früchte des bisherigen Feldzuges umsonst geerntet.
Einsam hebt sich Moltkes hagere Gestalt mit dem durchgeistigten
Denkergesicht von dem erregten Gefolge ab. Ab und zu führt er das
Glas zum Auge; kein Muskel zuckt in seinen marmorstarren Zügen.
Und wer ist der Hüne dort mit dem behelmten Haupte? — Curopa kennt
ihn, den „bösen Mann“, — den Urheber dieses „Bruderkrieges“. Ja, es ist
sein eigenstes Werk, was hier in weiter Runde blutet, verblutet .KAber er
darf sich's sagen mit ehrlichem Herzen, daß nicht kleinlicher Ehrgeiz, sondern
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