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erschallen. Stolz tönen die Märsche der Musikkapellen über das Feld. Bald
stehen die Kompagnien, die Bataillone, die Regimenter in genauen Ab—
ständen und warten des Augenblickes, da ihr oberster Kriegsherr kommt.
2 Brausende Hochrufe verkünden, daß der Kaiser naht. Er kommt,
meist mit der Kaiserin zusammen, im Automobil gefahren, umjubelt von
jung und alt. Der Kaiser trägt eine glänzende Uniform und hält den Feld—
herrnstab in der Rechten. Auch die Kaiserin trägt ein Uniformkleid, und
ihr Haupt ist meist mit einem militärischen Hut, dem Dreispitz, bedeckt. Sobald
die beiden Majestäten dicht beim Tempelhofer Felde zu Pferde gestiegen sind,
reiten sie mit ihrem Gefolge zu der „einsamen Pappel“, einem Baume, der
ganz allein auf einer kleinen Anhöhe steht. Von dort kann man das
ganze Feld überschauen, und darum nimmt der Kaiser auch stets von hier
aus die Parade ab. An diesem Platze haben sich die Fürstlichkeiten, die Gäste
des Kaisers, die Gesandten und Offiziere fremder Länder versammelt und
begrüßen nun den Kaiser und die Kaiserin. Darauf beginnt die Parade.
3. In dem Augenblick, wo sich der Kaiser den Truppen nähert, präsen—
tieren alle auf ein Kommando. Die gewaltigen Massen stehen jetzt in schnur—
gerader Linie ausgerichtet, und jeder einzelne Soldat steht still und stramm
wie eine Bildsäule. Und nun reitet der Kaiser mit seinem Gefolge die
vorderen Reihen sämtlicher Truppenteile ab. Jedem Regiment ruft er
sein „Guten Morgen!“ zu, und die Soldaten antworten mit einstimmigem,
fröhlichem „Guten Morgen, Eure Majestät!“
Nachdem der Kaiser alle Reihen abgeritten hat, will er sich auch davon
überzeugen, ob die Truppen gut marschieren, reiten und fahren können.
Wieder nimmt er mit seinem Gefolge Aufstellung an der einsamen Pappel
und läßt nun sämtliche Truppen an sich vorbeimarschieren. Dabei muß
jede Reihe schnurgerade ausgerichtet vorbeikommen, und jeder einzelne
Soldat muß seinem Kaiser fest ins Auge sehen. An der Spitze jedes Regiments
marschiert die Musik und spielt einen schneidigen Marsch, und im Takt dieses
Marsches bewegen sich dann die langen, geraden Reihen der Soldaten.
Zuerst kommt die Infanterie, voran die Gardegrenadiere mit den
hohen Blechmützen. Dann rückt unter lustigen Reiterfanfaren die Kavallerie
heran, voran die Gardekürassiere mit den stolzen Adlerhelmen. Ihnen
folgen die Ulanen mit der Tschapka auf dem Kopfe und den Epauletts auf
den Schultern, die hellblauen Dragoner und die Husaren mit der Pelz—
mütze und den Schnüren auf der Brust. Ihnen schließen sich die Artillerie
mit den Kanonen, die Maschinengewehrabteilung und die Pioniere an.
Den Schluß bilden die Wagen des Trains und die an ihrem roten Kreuz
erkennbare Sanitätskolonne.