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der Berliner Geistlichkeit, der Konsistorialrat Erman von der französischen
Kolonie, an das Roß des Kaisers heran und sprach kühn und freimütig:
„Sire, ich wäre nicht würdig des Kleides, das ich trage, nicht würdig des
Wortes, das ich verkündige, wenn ich nicht bekennen wollte, daß ich Ew.
Majestät nur mit dem tiefsten Schmerz an dieser Stelle hier erblicken kaun.“
Ein stechender Blick des Kaisers traf ihn; dann setzte dieser das Roß in
Bewegung, ohne den Herren zu antworten.
2. Vor dem Portal des Schlosses, dem von Eosander aufgeführten
stolzen Ehrentore, stieg Napoleon vom Rosse. Gleichsam im Gefolge des
Siegers hatten sich die Spitzen der Berliner Behörden ebenfalls ins Schloß
begeben müssen. Der Kaiser ließ sie eine Stunde warten. Dann befahl
er, sie ihm vorzuführen, und nun erging er sich in maßlosen Schmähungen
des Königs und der Königin Luise. Sie, so behauptete er, sei die eigent⸗
liche Verderberin des Vaterlandes. Eingeschüchtert standen die Beamten
und Geistlichen während des peinlichen Vorgangs vor ihm; aber der ehr⸗
würdige Erman wagte es, zornglühenden Antlitzes vorzutreten. Er legte
die Hand auf den Arm des Kaisers und rief ihm in höchster Entrüstung
die Worte entgegen: „Sire, das ist nicht wahr!“ Napoleon hatte ihm
nichts zu erwidern als ein herrisches: „Schweigen Sie, ich habe Sie nicht
gefragt!“ Und wieder folgte eine Flut von Schmähreden gegen den König
und seine edle Gemahlin. Der unerschrockene Geistliche verließ den Saal,
und selbst Napoleon hat es nicht gewagt, dieses heldenhafte, ehrwürdige
Haupt eines unerschrockenen Mannes, der es wagte zu sprechen, als jeder
andre schwieg, mit seiner Rache zu bedrohen. Die edle Königin aber hat
dem priesterlichen Greise nachmals aufs wärmste für die Verteidigung
ihrer Ehre gedankt.
Hamburger Lesebuch. Mach Oskar Schwebels „Geschichte der Stadt Berlin“.)
36. Der Gustav Adolf-Verein.
1. Eins der größten und segensreichsten Liebeswerke der evangelischen
Kirche ist der Gustav Adolf-Verein. Er trägt seinen Namen dem Schweden⸗
könige Gustav Adolf zu Ehren, der in den Drangsalen des Dreißigjährigen
Krieges der Retter der evangelischen Kirche in Deutschland geworden ist.
In der höchsten Not erschien er, besiegte Tilly, den Feldherrn der Liga,
und drang schnell bis Süddeutschland vor. Schon bedrohte er Wien,
als der Kaiser in seiner Not durch seinen Feldherrn Wallenstein ein neues
Heer aufbot. Am 16. November 1632 kam es zur Schlacht bei Lützen,
in der das schwedische Heer zwar siegreich blieb, aber den Sieg mit dem
Tode des Heldenkönigs bezahlen mußte. Ein einfacher, großer Stein, den
des Königs Reitknecht mit Hilfe von dreizehn Bauern an die Stelle