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4. Rotkäppchen aber war unterdessen umhergelaufen nach Blumen,
und als es so viele hatte, daß es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die
Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Wie
es ankam, stand die Tür offen; darüber verwunderte es sich. Und als
es in die Stube kam, sah es so seltsam drin aus, daß es dachte: „Wie
ängstlich wird mir's heute zumute, und ich bin sonst so gerne bei der Groß⸗
mutter!“ Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück. Da lag
die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gezogen und sah so
wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!“ —
„Daß ich dich besser hören kann.“ — „Ei, Großmutter, was hast du für große
Augen!“ — „Daß ich dich besser sehen kann.“ — „Ei, Großmutter, was
hast du für große Hände!“ — „Daß ich dich besser packen kann.“ — „Aber
Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ — „Daß ich
dich besser fressen kann.“ Und wie der Wolf das gesagt hatte, sprang er aus
dem Bett und auf das arme Rotkäppchen und verschlang es.
5. As der Wolf den fetten Bissen im Leibe hatte, legte er sich wieder
ins Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging
eben vorbei und dachte bei sich: „Wie kann die alte Frau so schnarchen.
Du mußt einmal nachsehen, ob ihr etwas fehlt.“ Da trat er in die Stube,
und wie er vor das Bett kam, da lag der Wolf darin, den er lange gesucht
hatte. Nun wollte er seine Büchse anlegen; da fiel ihm ein: „Vielleicht hat
er die Großmutter gefressen, und ich kann sie noch erretten.“ Daher schoß
er nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolfe
den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah
er das rote Käppchen leuchten, und wie er noch ein wenig geschnitten, da
sprang das Mädchen heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken! Wie
war's so dunkel in dem Wolfe seinem Leib!“ Und dann kam die Groß—
mutter auch noch lebendig heraus. Rotkäppchen aber holte große Steine;
damit füllte sie dem Wolfe den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fort—
springen; aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und
tot war.
6. Da waren alle drei vergnügt. Der Jäger nahm den Pelz vom
Wolfe; die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäpp—
chen gebracht hatte. Rotkäppchen aber dachte bei sich: „Du willst dein Lebtag
nicht wieder allein vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir's die Mutter
verboten hat.“
Brüder Grimm. (Kinder- und Hausmärchen.)