Full text: Lesebuch für Brandenburg

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85. Sonntagsfeier. 
1. Um eine würdige Sonntagsfeier ist es etwas Großes! Wer in Stadt 
und Dorf das geschäftige Leben der Handwerksstuben und Bauernhöfe be⸗ 
trachtet hat, weiß, was der Sonntag bedeutet. Wenn die sechs Arbeitstage 
vorhanden sind, dem kleinen Mann sein Brot zu verschaffen, so ist der Sonn⸗ 
tag eingesetzt, seiner Seele Nahrung zu geben. Er soll ihn daran erinnern, 
daß sein Herrgott lebt, daß die Natur schön ist, daß es Menschen gibt, die 
er liebt, und die ihn lieben, daß es gute Bücher gibt, fröhliche Geselligkeit, 
Freude, Lachen und Genuß. Jedem tätigen Landwirt ist der feierliche 
Tag mit seinem Glockengeläute, mit der Ruhe in Hof und Acker so viel wert 
wie die sechs Arbeitstage vorher; denn er weiht ihm die ganze nächste Woche. 
Seine Gespanne ruhen aus. Behaglich stampfen die Pferde im Stall und 
knuspern am Heu vornehm und wählerisch, und das müde Fleisch quillt 
wieder kräftig auf unter dem glänzenden Haar. Wiederkäuend liegt der 
Zugochs wie ein vornehmer Herr auf seinem Stroh und brüllt den ein— 
tretenden Wirt wohlwollend an. 
2. Und das Hofgesinde! Sechs Tage sind sie ernst aneinander vorbei⸗ 
gegangen; kurze Worte, ein trockener Scherz war ihre Rede. Heut' am 
Sonntage sind sie nicht dieselbigen Menschen. Zuerst der reine Hemds⸗ 
ärmel! Wieviel Selbstgefühl liegt in der weißen, dicken, aufgeblähten Lein— 
wand, die den kräftigen Arm des Großknechts umschließt! Mit großem 
Behagen sieht er auf die reinliche Farbe, während er pfeift, die blaue Tuch⸗ 
jacke säubert und den Kupferbeschlag seines Pfeifenkopfs von Maserholz 
poliert. Durch die ganze Woche hat sich die Magd auf die Stunde gefreut, 
wo sie sich hübsch machen und das neue Kleid anlegen kann. Heute steht 
sie glücklich vor der Tür des Gesindehauses und legt die Hände übereinander. 
Alle fühlen sich sauber, sie fühlen sich hübsch; heute gefallen sie und finden 
selbst Gefallen am Leben. 
3. Tretet in die Tagelöhnerhütte nebenan! Die Frau hatte in der 
Woche wenig Zeit für ihre Wirtschaft, denn sie und ihr Mann haben ihre 
Arme auf sechs Tage dem Gutsherrn vermietet. Das einfache Essen mußte 
in einer Stunde mit müden Händen bereitet und schnell verzehrt werden, 
und den Kindern fehlte den ganzen Tag die Aufsicht der Mutter. Heute 
hat die Frau am frühen Morgen Stube und Geschirr gescheuert. Jetzt 
durchflicht sie die Zöpfe des kleinen Mädchens mit schmalem, rotem Band 
und sieht dabei, wie hübsch die Augen und rosigen Bäckchen der Kleinen 
sind. Nach der Kirche wird sie fettdurchwachsenes Schweinefleisch kochen
	        
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