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Die Zeit der ersten Zeugnisse.
1G. April fuhr er in Worms ein. Schon den Tag darauf ward er
vor die Reichsversammlung gestellt. Bei allein Volk zeigte sich die
herzlichste Theilnahme für Luther. Der Kriegsheld Frundsberg, wel¬
cher vor dem Saale die Wache hatte, klopfte ihm auf die Schulter
und sagte: „Münchlein, Münchlein! Du gehest jetzt einen Gang, der¬
gleichen ich und mancher Oberster auch in der allerernstesten Schlacht
nicht gethan haben. Bist Du aber auf rechter Meinung und Deiner
Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort, und sei nur getrost, Gott
wird dich nicht verlassen!" In dem Reichssaale lagen die Bücher, die
Dr. Luther hatte drucken lassen; er ward befragt, ob er sie geschrieben
habe, und ob er sie widerrufen wolle. Das Erste konnte er sogleich
bejahen; über das Zweite bat er sich Bedenkzeit aus. Sie ward ihm
bis auf den folgenden Tag gegeben. Die ganze Nacht hindurch betete
er inbrünstig. Den andern Tag ward er wieder vor die hohe Ver¬
sammlung gestellt und abermals gefragt, ob er seine Lehren widerrufen
wolle. Er setzte in einer bescheidenen und gründlichen Rede auseinander,
daß er gern bereit wäre, zu widerrufen, wenn er aus der heiligen
Schrift überwiesen würde, daß er geirrt hätte. Als aber der kaiserliche
Wortführer strafend einfiel und eine runde Antwort verlangte, ob er
widerrufen wolle oder nicht, da öffnete er herzhaft den Mund und
sprach: „Weil denn Kaiser!. Majestät, Kurfürst!, und Fürstl. Gnaden
eine schlechte, runde, einfältige Antwort begehren, so will ich denn eine
geben, die weder Hörner noch Zähne haben soll: Es sei denn, daß ich
mit Zeugnissen der heiligen Schrift oder mit öffentlichen, hellen und
klaren Gründen überwunden und überwiesen werde, so daß mein Ge¬
wissen in Gottes Wort gefangen ist, so kaun und will ich nichts wider¬
rufen, weil es weder sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen
zu thun. Hier steheich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir! Amen!"
3. Luther auf der Wartburg. Durch diese Verhandlungen
war Dr. Luther's Sache eine Sache des ganzen deutschen Reichs ge¬
worden. Ihm ward angezeigt, daß er sich binnen 21 Tagen, unter
sicherem Geleit zurückbegeben, sich aber unterwegs des Predigens und
Schreibens enthalten solle. Er antwortete: „Wie cs dem Herrn gefallen
hat, so ist es geschehen, sein Name sei gelobt;" ließ dem Kaiser und den
Ständen danken und erklärte nochmals, er habe nichts Anderes begehrt,
als daß eine Reformation aus heiliger Schrift vorgenommen werde, wolle
auch gern Alles thun und leiden und sich nichts vorbehalten, als allein
das Wort Gottes frei zu bekennen und zu bezeugen.
Er reiste von Worms ab. Nun brachten die Gesandten des
Papstes es dahin, daß er nach Ablauf des sichern Geleits in die Acht
erklärt ward. Er war also vom Papste aus der kirchlichen, vom Kaiser
aus der bürgerlichen Gemeinschaft ausgestoßen, aber nicht vom Herrn
Christo aus der Gemeine seiner Heiligen. Zunächst sorgte der eigne Lan¬
desfürst Luther's, der Kurfürst Friedrich der Weise, für seine Sicherheit.
Er ließ ihn unterwegs im Walde bei Eisenach durch verkappte Ritter
auffangen, die ihn aus dem Wagen rissen, auf ein Pferd setzten und mit