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II. Ungebundene Form.
auch nicht angelegt, doch zu ihrer gegenwärtigen Regelmäßigkeit und Ausdehnung
erweitert wurden, und auch die große Treppe verdankt dem Besuche ihre Ent—
stehung, welchen König August der Starke gegen die Mitte des vorigen Jahr—
hunderts dem Bergwerke abstattete. Man begreift, daß hier, wo der wegzu—
schaffende Rohstoff seinen selbständigen Wert hat, solche Verschönerungen ohne
große Kosten vorgenommen werden konnten.
Im ersten Stockwerke befindet sich eine berühmte, dem heiligen Antonius
gewidmete Kapelle, die mit ihren Pfeilern, ihrem Altare und ihren Bildsäulen
von den frommen und geschickten Bergleuten eines frühern Jahrhunderts in der
Steinsalzmasse ausgehauen worden ist. Durch die Zeit und die Feuchtigkeit
haben die Verzierungen viel von ihrer ursprünglichen Schärfe verloren.
über diese Kapelle, wie über Wieliczka überhaupt, ist viel gefabelt worden.
So hat man unter anderm behauptet, daß es hier Häuser und Dörfer unter
der Erde gebe, daß manche Bergleute dort geboren würden, und noch weit
mehr, nach ihrer ersten Einfahrt nie wieder ans Tageslicht kämen. An all
diesem ist natürlich kein wahres Wort, ebenso wenig ist es richtig, daß die Pferde,
die freilich ein unterweltliches Leben führen, durch den Lichtmangel blind werden.
Merkwürdig ist es, daß dort unten Süßwasserquellen vorkommen, ein Umstand,
der sich nur dadurch erklärt, daß das Salz nicht in der Form eines durch—
laufenden Lagers, sondern in großen inselartigen Stücken oder Massen im Ge—
birge eingebettet liegt, so daß an mehreren Stellen das Tageswasser, ohne mit
dem daneben liegenden Salze in Berührung zu geraten, in die Tiefe gelangen
und ohne Beigeschmack wieder hervorsprudeln kann. Die Salzmassen sind
übrigens nicht unordentlich durcheinander geworfen, sondern folgen den Wellen—
linien des sie einschließenden Thongebiets. Der Oberfläche am nächsten liegt
das Grünsalz, dem eine Beimischung von fünf bis sechs Prozent Thon die
Durchsichtigkeit benimmt. Das Spizasalz ist kristallinisch, jedoch mit Sand
vermengt, das Schibiksalz endlich, welches vorzugsweise in den untern Ab—
lagerungen vorkommt, erscheint in reinen, durchsichtigen, großflächigen Kristallen.
Die meisten unterirdischen Quellen des Bergwerks haben natürlich einen
stark salzigen Geschmack, und an einer der tiefsten Stellen desselben hat sich
ein kleiner See gebildet, im Vergleich zu welchem das Meerwasser süß genannt
werden könnte.
Die obern Stockwerke, die man zuerst in Angriff nahm, wurden entweder
gar nicht oder mit Holz gestützt, so daß nicht selten die Häuser von Wieliczka
eingestürzt sind, und zuweilen gewaltige Feuersbrünste entstanden, deren eine
gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts über ein Jahr fortdauerte. In
den tiefern Stollen geht man jetzt viel sorgfältiger zu Werke und läßt von
Strecke zu Strecke mächtige Salzsäulen zur Stützung des Daches stehen.
Wenn zahlreiche Fackeln die Räume erhellen und, wie beim Besuche König
Augusts, eine Menge Wandleuchter in vollem Lichte erstrahlen, mögen allerdings
die kristallisierten Gewölbe flimmern, aber beim Scheine der gewöhnlichen
Grubenlichter wird man von diesen gepriesenen Herrlichkeiten nichts gewahr.
Das Bergwerk beschäftigt ungefähr 1200 Arbeiter und liefert jährlich über eine
Million Zentner Salz. Das einige Stunden von Wielieczka liegende Steinsalz—
werk zu Bochnia fördert jährlich 350 000 Zentner Salz zutage und giebt
600 Mbeitern Beschäftigung. Außerdem besitzt Osterreich auch noch in Sieben—
bürgen bedeutende Steinsalzlager, welche im Jahre 1857 1200353 Zentner
lieferten und 916 Arbeiter beschäftigten.