Full text: [Teil 5 (Oberstufe, 2. Abteilung), [Schülerband]] (Teil 5 (Oberstufe, 2. Abteilung), [Schülerband])

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thee erweicht worden, den sie mit hartem Fluche in die Kanne goß. Er 
hatte doch getrunken und war weiter gejagt, auf Dresden zu. 
Jetzt war er in Paris angekommen. Man las in den Zeitungen, 
wie glücklich Paris sei, wie zärtlich ihn seine Gemahlin und sein Sohn 
begrüßt hätten, wie wohl sich der Kaiser befinde, und daß er bereits am 
27. Dezember die schöne Oper „das befreite Jerusalem“ angehört habe. 
Und man las weiter, daß die große Armee trotz der Ungunst der Jahres⸗ 
zeit doch noch in furchtbaren Massen über Preußen zurückkehren solle, und 
daß der Kaiser von neuem rüste. Aber man las auch von der Unter— 
suchung gegen General Malet, und man wußte, wie frech sich die Lüge 
in den französischen Zeitungen breitete. 
Man sah, was von der großen Armee übrig war. In den ersten 
Tagen des Jahres fielen die Schneeflocken; weiß wie ein Leichentuch 
war die Landschaft. Da bewegte sich ein langsamer Zug geräuschlos auf 
der Landstraße zu den ersten Häusern der Vorstadt. Das waren die 
rückkehrenden Franzosen. Sie waren vor einem Jahre der aufgehenden 
Sonne zugezogen mit Trompetenklang und Trommelgerassel, in kriegerischem 
Glanze und empörendem übermute. Endlos waren die Truppenzüge 
gewesen; Tag für Tag ohne Aufhören hatte sich die Masse durch die 
Straßen der Stadt gewälzt. Nie hatten die Leute ein so ungeheures 
Heer gesehen: alle Völker Europas, jede Art von Uniformen, Hunderte 
von Generalen. Die Riesenmacht des Kaisers war tief in die Seelen 
gedrückt. Das militärische Schauspiel mit seinem Glanze und seinen 
Schrecken füllte noch die Erinnerung; aber man ahnte auch schon ein furcht⸗ 
bares Verhängnis. 
Einen Monat hatte der endlose Durchzug gedauert; wie Heuschrecken 
hatten die Fremden von Kolberg bis Breslau das Land aufgezehrt. 
Denn schon im Jahre 1811 war eine Mißernte gewesen; kaum hatten die 
Landleute Samenhafer erspart. Den fraßen 1812 die französischen Kriegs⸗ 
pferde; sie fraßen den letzten Halm Heu, das letzte Bund Stroh. Die 
Dörfer mußten das Schock Häckselstroh mit sechzehn Thalern, den Centner 
Heu mit zwei Thalern bezahlen. Und gröblich wie die Tiere verzehrten 
die Menschen. Vom Marschall bis zum gemeinen Franzosen waren sie 
nicht zu sättigen. König Hieronymus hatte in Glogau, keiner großen 
Stadt. täglich vierhundert Thaler zu seinem Unterhalte erpreßt, ein Herzog 
vier Wochen lang läglich fünfundfiebzig Thaler. Die Offiziere hatten von 
der Frau des armen Dorfgeistlichen gefordert, daß sie ihnen die Schinken 
in Rotwein koche; den fettesten Rahm tranken sie aus Krügen und 
gossen Zimtessenz darüber. Auch der Gemeine bis zum Trommler hatte
	        
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