Full text: Lesebuch für die Oberstufe der evangelischen Volksschulen des Herzogtums Oldenburg

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waren. Besonders die Frauen führten in diesen engen, finstern, nur notdürftig 
ausgestatteten Burgräumen ein mühseliges Leben, mit der Sorge für den Haus— 
halt und der Erziehung der Kinder beladen, während dem Burgherrn wenigstens 
Jagd und Fehde, Zechverkehr mit den Nachbarn oder Einkehr in gastfreie 
Klöster Abwechselung und Zerstreuung brachten. 
Ganz anders sah es in den Hofburgen oder Pfalzen der Grafen, Fürsten, 
Fürstbischöfe und fürstlichen Äbte aus. Eine vollständige Hofburg hatte eine 
Umgebung von Mauerwerk oder Pfahlwerk, die von einem oder mehreren Tor— 
eingängen durchbrochen war, deren Verteidigung von seitwärts vorspringenden 
Türmen aus geschah. Innerhalb der Mauer befand sich der Zwinger mit 
Ställen und Wirtschaftsgebäuden. Er umschloß auch den Raum zu ritterlichen 
Übungen, die sog. Slechbahn. Von der meist höher gelegenen Burg war er 
durch einen Graben geschieden, über den eine Zugbrücke führte. 
Hatte man die Brücke überschritten, so gelangte man in einen zweiten, 
engeren Zwinger oder in den eigentlichen Burghof, in dessen Mitte gewöhnlich eine 
Linde ihre Zweige ausbreitete. Unter den Gebäuden, welche den Burghof ein— 
schlossen, nahm der Palas oder das Wohnhaus als das umfangreichste in der 
Regel die eine Seite ein. Ein weithin in das Land schimmerndes Dach galt 
als eine der schönsten Zierden des Palas. Dieser war durch eine außen in die 
Höhe führende Treppe zugänglich. Da das Mauerwerk des Palas sehr 
stark zu sein pflegte, so entstanden da, wo die Fenster nach dem Hofe zu 
und nach dem Freien gingen, Mauervertiefungen, Fensternischen mit Sißen, die 
an der Seite in der Mauer angebracht waren. Sie galten als Ehrenplätze der 
Frauen, wenn sie im Palas, dem Männersaale, erscheinen durften, und wen 
man hoch ehren wollte, den ließ man in den Fensternischen Platz nehmen. Der 
Fußboden des Palas war zuweilen gedielt, meist nur mit Estrich ausgelegt; wo 
Tische und Bänke standen, war er mit Teppichen belegt, die bei festlichen Ge⸗ 
legenheiten auch die Wände schmückten. Ringsum an den Wänden waren breite 
Bänke angebracht, die mit Federkissen und Matratzen bedeckt wurden. 
Am Tage erhielt der Palas seine Beleuchtung durch die Fenster; des Nachts 
leuchteten die Feuer der Kamine oder Kron⸗, Wand- und Tischleuchter mit Kerzen. 
Da der Palas oft eine bedeutende Breite hatte, so gingen eine, wohl auch zwei 
Reihen Säulen hindurch; in der Regel waren sie aus Holz, doch erwähnen die 
Dichter auch Marmorsäulen. 
Für die Frauen war auf den größeren Burgen meistens ein eignes Ge— 
bäude auf dem Burghofe bestimmt, welches stets die Kemenate genannt ward 
und wenigstens drei Abteilungen enthielt: eine für die Herrin und deren nächste 
weibliche Angehörige, eine für die Dienerinnen und eine dritte, in welcher die 
weiblichen Arbeiten besorgt wurden. Das Frauengemach war kleiner als der 
Männersaal, aber oft kostbarer geschmückt. An den Wänden hängende Teppiche 
mit eingewirkten Darstellungen ritterlicher Abenteuer, Spiegel, reich verzierte Sessel, 
Arbeitskästchen, Schachbretter, Bücher mit Minneliedern machten es zu einem trau⸗ 
lichen Raume, in dem die Herrin des Hauses ihre Gäste zu empfangen pflegte. 
Neben dem Palas und der Kemenate ragte das zweite Hauptgebäude der 
Burg, der Bergfried, empor, ein in der Regel frei auf den kühnsten Vorsprung 
gebauter Turm. Sein unterer Teil enthielt das furchtbare Gefängnis, das 
Burgverlies; oben auf der Warte, von der man weit ins Land hineinlugen 
konnte, hauste der Wächter oder Turmwart, der mit lautem Hornruf ankommende 
Fremde meldete oder vor drohender Gefahr warnte.
	        
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