294. Der alte Derffling.
1. Es haben alle Stände 4. Sonst focht er still und friedlich
so ihren Degenwert, nach Handwerksburschenrecht,
und selbst in Schneiderhände jetzt war er unermüdlich
kam einst das Heldenschwert; beim Fechten im Gefecht.
drum jeder, der da zünftig Es war der flinke Schneider
mit Nadel und mit Scher, zum Stechen wohl geschickt,
der mache jetzt und künstig oft hat er an die Kleider
vor Derffling sein Honneur. dem Feinde was geflickt.
2. In seinen jungen Tagen 5. Er stieg zu hohen Ehren,
war das ein Schneiderblut Feldmarschall ward er gar,
doch mocht' ihm nicht behagen es mocht' ihn wenig kehren,
so Zwirn wie Fingerhut, daß einst er Schneider war;
und wenn er als Geselle nur, fand er einen Spötter,
so saß und fädelt' ein, verstund er keinen Spaß
schien ihm die Schneiderhölle und brummte: „Für Hundsfötter
die Hölle selbst zu sein sitzt hier mein Ellenmaß!“
3. Einst, als das Nadelhalten 6. Krank lag in seinem Schlosse
ihm schier ans Leben ging der greise Feldmarschall,
dacht er: „Das Schädelspalten keins seiner Lieblingsrosse
ist doch ein ander Ding.“ kam wiehernd aus dem Stall;
Fort warf er Maß und Elle Er sprach: „Als alter Schneider
voll Kriegslust an die Wand weiß ich seit langer Zeit,
und nahm an Nadel Stelle man wechselt seine Kleider,
den Säbel in die Hand. auch hab' ich des nicht Leid.
7. Es fehlt der alten Hülle
in Breite schon und Läng
der Geist tritt in die Fülle,
der Leib wird ihm zu eng;
gesegnet sei Dein Wille,
Herr Gott, in letzter Not!“
Er sprach's und wurde stille,
der alte Held war tot.
Theodor Sontane. (Männer und Helden.)
S95. Eine Tagfahrt König Friedrich Wilhelms 1.
In Giesebrügge, einem Dorfe in der Neumark, hatte König Friedrich
Wilhelm J. eine Schule eingerichtet. Er hatte zum Bau des Schulhauses das
Holz gegeben und dann einen Lehrer, namens Wendroth, geschickt. Früher
hatten die Kinder bei dem Küster nur den Katechismus gelernt. Jetzt solllen
sie auch lesen, schreiben und rechnen lernen und sich andere nützliche Kenntnisse
erwerben. An Widerwillen gegen die Schule fehlle es allerdings bei manchen
Eltern nicht; aber Wendroth war ein fleißiger Mann; die Kinder lernten
etwas bei ihm, und so wurden die Leute nach und nach für die Schule ge⸗
wonnen.
Der König war aber gewohnt, wo er etwas Neues gegründet hatte, auch
selbst nachzusehen, ob es gedieh, und ob seine Beamten fleißig waren und ihre
Schuldigkeit iaten. Seine Fahrten durchs Land waren bei allen Faulen und
gewissenlosen Leuten sehr gefürchtet. Denn plötzlich war er da, wo ihn nie—
mand erwartete, und seinem scharfen Auge entging kein Fehler.
So wußte auch an einem Julitage des Jahres 1730 in Giesebrügge
und zehn Meilen in der Runde kein Mensch, daß der König unterwegs war,
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