Full text: Lesebuch für die Oberstufe der evangelischen Volksschulen des Herzogtums Oldenburg

liche Jansen drückte seinem Herrn noch einmal kräftig beide Hände ein paar 
Tränen träufelten doch dem alten Knaben in den grauen Bart, und er stieg 
ein. Die Musik ertönte lebhafter; leicht hintanzend über die spiegelglatte Fläche 
langte schnell das Boot am Schiffe an. Die Leiter ward herabgelassen, hinauf 
stieg Jansen, schnell ward die Leiter zurückgezogen, eben so schnell ward der 
große Anker aufgewunden und das Boot befestigt, und nun donnerte der letzte 
Kanonenschuß zur Abfahrt. Alle Wimpel flaggten, und stolz flog das Schiff 
dahin, alle Segel gebläht vom günstigen Winde. Vom Verdecke winkte noch 
einmal Jansen mit dem Tuche das leßte Lebewohl, und bald darauf war das 
Schiff dem Auge kaum mehr sichtbar. Die Menge verlief sich, und die Herren 
schritten unter freundlichen Gesprächen ihren Wohnungen zu. 
Drei Vierteljahre waren seitdem verflossen, und kein Jansen kam zurück, 
noch irgend eine Nachricht von ihm; wohl aber hatten sich dunkle Gerüchte von 
deulschen Handelsschiffen, welche in der Gegend von Neu-Amsterdam lin Süd— 
Amerika) gescheitert wären, verbreitet. Immer bedenklicher wird die Miene des 
Herrn Hermann und immer sorgenvoller seine Stirn. Einen großen Verlust 
nach dem andern hatte er erlitten durch den Fall mehrerer Handelshäuser zu 
Braͤunschweig, Nürnberg, Augsburg und Ulm, und noch täglich trafen Unglücks— 
briefe ein. Herr Gruit war eben daran, die Bilanz zu ziehen; drum war's im 
Comptoir stile wie im Grabe; kaum hörte man atmen und das leise Schnarren 
der Federn der emsig schreibenden Kommis, die nur manchmal die Augenlider 
hoben, ohne ihre Körperstellung zu verändern, wenn ein schwerer Seufzer des 
Herrn Gruit wie ein klagender Geist durchs Zimmer drang oder ein großer 
Schweißtropfen von der gefalteten Stirn auf das Papier niederfiel. Endlich 
schlug der Herr die Augen auf, sah starr nach dem ihm gegenüber hangenden 
Bilde seines Vaters, und eine große, schwere Träne tropfte herab auf das 
Hauptbuch. Da schrak er zusammen, fuhr mit der Hand über Stirn und 
Augen, wie aus schwerem Traum erwachend, legte langsam die Feder nieder, 
klappte leise das Buch zu und ging langsam hinauf in das Familienzimmer. 
Dort kleidete er sich in seine volle Amtstracht als Ratsherr, küßte seine Frau 
und seine drei muntern Knaben und ging mit der Äußerung, daß heute Sitzung 
wäre, sie sollten mit dem Essen nicht warten, hinüber. Die grüne Gasse ent— 
lang schritt er dem Rathause zu; ein Diener trug ihm das schwere Hauptbuch 
nach. Im Ratssaale legte er vor den erstaunten Kollegen das Chrenzeichen 
seiner Würde ab und gab sich als insolvent an. Die Herren erschraken, sahen 
seine Bücher an, erkannten daraus seine Schuldlosigkeit und beschlossen einstim— 
mig, daß ihm noch eine halbjährige Frist gestattet sein solle, als die äußerste 
Zei, in welcher man Jansen noch zurückerwarten könne, wenn das Schiff nicht 
verunglückt sei. 
Das halbe Jahr und zwei Monate darüber waren schon verstrichen; 
Jansen war nicht gekommen. Herrn Hermanns Umstände hatten, statt sich zu 
heben, sich nur verschlimmert. Da drangen die schon durch die Fristvergün⸗ 
ftigung erbitterten Gläubiger so ungestüm auf den strengsten Vollzug der Gant 
der Versteigerung seiner Besitztümer), daß der Magistrat notgedrungen dem 
Rechte in voller Ausdehnung seinen Gang lassen mußte. Alles ward versiegelt, 
Ind dem armen Gruit nebst Familie blieb nur das kleine Stübchen, in welchem 
sonst der Hausknecht schlief, links am Haupteingange des Hauses. Eben hatte 
die Versteigerung seiner Habe im geräumigen Comptoir, jenem Stübchen gegen— 
über, begonnen, gedrängt voll Menschen war das Zimmer, laut tönte die
	        
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