Full text: Lesebuch für die Oberklassen der katholischen Volksschulen Niedersachsens

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Und herrlich, in der Jugend Prangen, 
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn, 
Mit züchtigen, verschämten Wangen 
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn. 
Da faßt ein namenloses Sehnen 
Des Jünglings Herz; er irrt allein, 
Aus seinen Augen brechen Tränen, 
Er flieht der Brüder wilden Reihn. 
Errötend folgt er ihren Spuren 
Und ist von ihrem Gruß beglückt, 
Das Schönste sucht er auf den Fluren, 
Womit er seine Liebe schmückt. 
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, 
Der ersten Liebe goldne Zeit! 
Das Auge sieht den Himmel offen, 
Es schwelgt das Herz in Seligkeit; 
O, daß sie ewig grünen bliebe, 
Die schöne Zeit der jungen Liebe! 
Wie sich schon die Pfeifen bräunen! 
Dieses Stäbchen tauch ich ein, 
Sehn wir's überglast erscheinen, 
Wird's zum Gusse zeitig sein. 
Jetzt, Gesellen, frisch! 
Prüft mir das Gemisch, 
Ob das Spröde mit dem Weichen 
Sich vereint zum guten Zeichen. 
Denn wo das Strenge mit dem 
Zarten, 
Wo Starkes sich und Mildes paarten, 
Da gibt es einen guten Klang. 
Drum prüfe, wer sich ewig bindet, 
Ob sich das Herz zum Herzen findet! 
Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang. 
Lieblich in der Bräute Locken 
Spielt der jungfräuliche Kranz, 
Wenn die hellen Kirchenglocken 
Laden zu des Festes Glanz. 
Ach! des Lebens schönste Feier 
Endigt auch den Lebensmai, 
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier 
Reißt der schöne Wahn entzwei. 
Die Leidenschaft flieht, 
Die Liebe muß bleiben; 
Die Blume verblüht, 
Die Frucht muß treiben. 
Der Mann muß hinaus 
Ins feindliche Leben, 
Muß wirken und streben 
Und pflanzen und schaffen, 
Erlisten, erraffen, 
Muß wetten und wagen, 
Das Glück zu erjagen. 
Da strömet herbei die unendliche Gabe, 
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher 
Habe, 
Die Räume wachsen, es dehnt sich das 
Haus. 
Und drinnen waltet 
Die züchtige Hausfrau, 
Die Mutter der Kinder, 
Und herrschet weise 
Im häuslichen Kreise, 
Und lehret die Mädchen 
Und wehret den Knaben 
Und reget ohn' Ende 
Die fleißigen Hände, 
Und mehrt den Gewinn 
Mit ordnendem Sinn, 
Und füllet mit Schätzen die duftenden 
Laden 
Und dreht um die schnurrende Spindel 
den Faden, 
Und sammelt im reinlich geglätteten 
Schrein 
Die schimmernde Wolle, den schneeichten 
Lein, 
Und füget zum Guten den Glanz und 
den Schimmer 
Und ruhet nimmer. 
—* 
Und der Vater mit frohem Blick 
Von des Hauses weitschauendem Giebel 
Überzählet sein blühend Glück, 
Siehet der Pfosten ragende Bäume 
Und der Scheunen gefüllte Räume 
Und die Speicher, vom Segen gebogen, 
Und des Kornes bewegte Wogen, 
Rühmt sich mit stolzem Mund: 
„Fest, wie der Erde Grund, 
Gegen des Unglücks Macht 
Steht mir des Hauses Pracht!“
	        
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