Full text: Lesebuch für die Oberklassen der katholischen Volksschulen Niedersachsens

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zahmer Kreuzschnabel verstand es mit großer Meisterschaft, jedesmal 
Lin zwischen Zeige- und Mittelfinger eingeklemmtes Hanfkorn heraus⸗ 
zuklauben. Vorsichtig schob er die Schnabelspitze, auch wenn er den 
Leckerbissen äußerlich nicht sehen konnte, zwischen die beiden Finger. 
Mit einer kräftigen Hebel- und Seitenbewegung des Kopfes brachte 
er die Finger auseinander und gelangte schnell zu dem leckeren Samen⸗ 
korne. Mehrere Freunde versuchten es auch, dem Kreuzschnabel das 
Hanfkorn vorzuenthalten; allein mit demselben Mißerfolge. 
Mit völlig entwickeltem Schnabel verläßt der junge Kreuzschnabel 
sein Nist, aber nicht früher! Im Neste gab es nie einen Tannenzapfen 
zum Aufklauben, und der junge Kreuzschnabel kennt und bewährt doch 
seine Kunst. Er schiebt die wenig geöffnete Schnabelspitze unter eine 
Deckschuppe, bricht dieselbe mit einer kräftigen Seitenbewegung des 
Kopfes auf, macht das Samenkorn mit der Zunge los, beißt Flug⸗ 
blättchen und Schale ab und verschluckt den Kern. All diese künstlichen 
Handgriffe gehen dem jungen Kreuzschnabel so flink von statten, als 
wenn er sie schon jahrelang betrieben hätte. 
Ebenso verläßt ja auch der junge Grün- oder Buntspecht mit 
völlig entwickeltem Kletterschwanz und Kletterfüßen sowie mit ganz 
ausgebildetem, stahlhartem Meißelschnabel seine dunkle Nesthöhle. 
Bereits im Fange der ersten Baumlarven ist sein Schnabel sowie die 
elastische Klebezunge mit der hornartigen Harpunenspitze unverbesser⸗ 
lich gut und ganz vollendet eingerichtet und seiner Lebensweise aus— 
gezeichnet angepaßt. 
Man kann die zutraulichen Kreuzschnäbel leicht fangen. Sie ge— 
wöhnen sich schnell und beginnen bald ihre papageienartigen Kletter— 
übungen, wodurch sie recht angenehm werden. Es sind fleißige Sänger, 
friedferuge Kameraden bei andern ihrer Art. Sie zeigen eine ewige 
Beweglichteit, werden gegen ihren Herrn recht zutraulich und erwerben 
sich bald viele Freunde. In manchen Gegenden fehlt in keiner Hütte 
der Kreuzschnabel, und bei einem Nagelschmiede erst recht nicht. Ob 
solches mit der uralten Volkssage in Verbindung steht, wonach die 
roten Kreuzschnäbel es versucht hätten, nicht nur die Dornen der Krone 
aus der Stirne des lieben Heilandes, sondern sogar die Nägel aus 
seinen Händen und Füßen zu ziehen? 
B. Tümler, Tier⸗- u. Pflanzenleben. 
181. Der Edelmarder. 
Das war gestern eine interessante Hetzjagd, ein echtes Jagdrennen 
mit Hindernissen auf Leben und Tod, wie ich solches noch niemals ge⸗ 
sehen! Ich ging gestern zur Oberförsterei, um meinen Freund, den Ober⸗
	        
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