Full text: Lehr- und Lesebuch für die Oberstufe in Volksschulen

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nur den Kaiser über sich und den Erzbischof von Köln, der als Herzog 
vpon Westfalen des Kaisers Stellvertreter und oberster Stuhlhert 
var. Nur die Teilnehmer dieser Gerichte, die Schöppen, kannten die 
Einrichtung und das Verfahren derselben und hießen Wissende. Sie 
waren durch einen feierlichen Eid zur lsn un verpflichtet; sie 
selbst aber erkannten sich an geheimen Zeichen und Losungen. Die 
Verbrechen, über welche die Femgerichke richteten, waren ßn, 
Zauberei, Diebstahl und Mord. Sowohl Wissende als Nicht— 
vissende wurden von den Freigrafen vor ihre Stühle gefordert. Die 
Anklage geschah im heimlichen Gerichte, die Vorladung der Nichtwissen— 
den mußte vor ein offenes Freigericht ergehen. Die Vorladung ge— 
schah durch einen Brief mit sieben Siegeln — des Freigrafen 
und sechs berufener Schöppen. Dieser Brief wurde von einem Kron— 
boten an das Haus des Verklagten oder an das nächste Heiligen— 
bild angeschlagen. Konnte der Verklagte sich nicht verteidigen, oder er— 
schien er nach mehrmaliger Vorladung nicht, so verfiel er in die heim— 
liche Acht oder wurde für verfemt erkläͤrt, d. h. den Wissenden 
oder Freischöppen preisgegeben. Wer von diesen ihn fand, knüpfte 
ihn an einen Baum auf oder stieß ihn mit dem Messer nieder, ließ aber 
das Messer mit dem Zeichen der Feme neben dem Gemordeten liegen, 
zum Beweise, daß er als Opfer der heiligen Feme gefallen sei. Bald 
erweiterte sich der Wirkungskreis dieser westfälischen uggi Als 
Gewaltthätigkeit fort und fört alle Verhältnisse in Deutschland verwirrte, 
wendete man sich n aus andern Teilen des Reiches an diese Gerichte. 
Die vermehrte und über die Grenze Westfalens hinaus verbreitete Thätig- 
keit dieser Gerichte bewirkte, die Freischöppen sich durch Aufnahme 
von Maͤnnern aus dem übrigen Deutschland verstärkten, während die Ge— 
richte selbst nur in Westfalen, das in ihrer Sprache die „rote Erde“ heißt, 
gehalten wurden. Jeder Schöppe war dem andern Hilfe zu leisten ver— 
pflichtet. Nicht leicht konnte ein Verbrecher seiner Strafe entrinnen; über 
kurz oder lang wartete seiner ein sicherer Tod Denn wohin er auch 
fliehen mochte, überall war ex von heimlichen Richtern umgeben, indem 
die Wissenden durch alle Staaten Deutschlands u waren. Im 
fünfßehnten Jahrhundert bestand der über ganz Deutschland ausgebreitete 
Freischöppenbund aus mehr als 100000 Mitgliedern, die sich alle 
an geheimen Zeichen und Losungen erkannten. Zu einer Zeit, wo 
rohe Willkür herrschte und keiner sich um Gesetz und Recht kümmerte, 
mußten die Femgerichte von wohlthätigem Erfolge sein, indem die Ge— 
wißheit, daß auf das Verbrechen uͤnfehlbar die Strafe erfolge, alle in 
Schtecken hielt und so manches Verbrechen verhütete. 
Allein die ganze Einrichtung dieser Gerichte, so wohlthätige Folgen 
sie auch anfangs haben mochten, mußte mit der b notwendig zu Miß⸗ 
bräuchen führen; denn es war der Willkür der Richter zu große Gewalt 
eingeräumt. Die unwürdigsten und schändlichsten Personen wurden oft 
uner die Freischöppen aufgenommen. Daher erhoben sich von allen 
Seilen Klagen uͤber den argen Mißbrauch dex Gerichte. Vergebens be— 
Muhten sich mehrere Kaiser denselben abjustellen. Die Klagen wurden 
immer noch lauter, als sie ihre Gewalt nach und nach über das ganze 
Reich ausdehnten und auch solche Sachen und Personen vor ihre Stühle 
zogen, über die ihnen gar kein Recht zustand. Mehrere Fürsten, Ritter 
und Städte schlossen deshalb ar Bündnisse gegen sie. Erst die 
Einführung einer bessern Rechtspflege im sechzehnten Jahrhundert und die
	        
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