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bahn nahe an die waldbedeckten Höhen des Habichtswaldes, dessen
herrlichster Punkt die weltberühmte „Wilhelmshöhe“ ist, auf der sich
Natur und Kunst verbunden haben, um, wie einer unserer Dichter sagt,
einen großen und schönen Gedanken in Gottes Schöpfung auszu—
drücken· — Hier sieht sich der Besucher in alle Zeitalter versetzi. Oben
auf der Höhe erhebt sich, gleichsam aus dem schwärzlichen Felsen gehauen,
ein Riesenschloß in dunkler Majestät, eine achteckige Masse und daher
das „Oktogon“ genannt. Auf seiner breiten Platte steigt eine Spitz—
säule auf, 33 m hoch, welche das aus Kupfer getriebene Standbild des
berkules trägt. In fünffacher Mannesgröße blickt er mit gesenktem
Haupte auf das große Werk unter ihm herab, gestützt auf seine gewaltige
Keule, deren Inneres 8 Menschen aufnehmen kann. In den Nischen
und Hallen des Gebäudes stehen die Bilder der Götter Griechenlands,
und auf einmal gehen gewaltige Stimmen von ihnen aus, und in Grotten
und Becken, über Steinklumpen und Felsenstufen, als thue die Erde sich
auf, springen und stürzen plötzlich helle Wasserfluten hervor. Sie
ergießen sich in einem 13 m breiten und 230 m langen Strome hinunter auf
der breiten Treppe. Dann fällt seitwärts im Walde über eine wilde
Wand von Felsenblöcken eine andere Wasserflut schäumend herab;
beide vereinigen sich und eilen in künstlichen Bächen an den Gehängen
des Berges hinab und bilden endlich noch unten einen mächtigen Spring⸗
quell, eine Fontäne, die ihr Wasser in einem dicken Strahle turm—
hoch in die Höhe treibt. Am südlichen Abhange der Höhe steht auf
einem Vorsprunge die Löwenburg, eine große, scheinbar uralte Burg—
ruine. Auf der untern Stufe des Bergabhanges, gegen Kassel hin,
breitet sich das Lustschloß Wilhelmshöhe aus. Von hier aus hat man
eine entzückende Aussicht auf Kassel und die weite schöne Landschaft
ringsum. Das Schloß war nach der Schlacht von Sedan der Aufent—
hallsort des gefangenen Kaisers Napoleon III. Richten wir unsere Reise
nach dem oberhessischen Bergland, so finden wir den südlichen Teil des—
selben rauh, und die Bewohner müssen dem meist dürftigen Boden ihr
Brot im Schweiße des Angesichtes abringen. Der nördliche Teil des
oberhessischen Berglandes enthält aber viele fruchtbare Thäler. Auf einem
siemlich steilen Abhange des Marburger Rückens liegt in reizender Um—
gebung die Stadt Marburg. Die Landschaften des Taunus und Wester—
waldes gehören zu den schönsten Gegenden Deutschlands.
Wo das Elsthal sich allmählich erweitert, sieht man die freundliche
Stadt Hadamar. In den höhern Thälern trifft man fleißig bearbeitete
Äcker, die viel Hafer und Kartoffeln, aber auch Gerste und Weizen liefern.
Wohlgenährte Rinderherden weiden an den Abhängen der Berge. In den
tiefern Lagen des Westerwaldes gedeihen fast alle edlern Obstarten, selbst
Aprikosen und Pfirsiche, und die Halden am Lahnufer liefern einen treff—