175
Zurichten. Jede größere Bierbrauerei oder Weinhandlung bat heut¬
zutage ihre eigene Böttcherwerkstätte; die Straßenbahnanstalten unter¬
halten schmiede-, Sattler-, Stellmacher- und Schlosserwerkstätten;
Konservenfabriken ihre eigenen Klempnereien usw. Der Handwerks¬
meister, der in einen solchen Großbetrieb als Vorsteher der Spezial¬
werkstätte eintritt, hört natürlich aus, selbständig zu sein, erfreut sich
aber dafür einer gesicherten Stellung. Von den freien Handwerkern
aber wird der Verlust so kaufkräftiger Abnehmer, wie es die Gro߬
unternehmer sind, bitter empfunden, und manche Handwerke, wie die
Drechslerei, sind durch diese Angliederung des Handwerks an die
Großunternehmung geradezu ausgehungert worden.
Eine Verarmung des Handwerkes tritt ferner dadurch ein, daß
sich der Bedarf an den vom Handwerke hergestellten Artikeln ver¬
schiebt; zuweilen geht das Handwerk durch das gänzliche Aufhören
des Bedarfs völlig zugrunde. Der Böttcher verfertigte z. B. für
die Haushaltung der Großmutter mancherlei Gefäße, die man heute,
in einem städtischen Haushalte wenigstens, vergeblich sucht: Fleisch-
kufen, Sauerkraut- und Bohnenständer, Waschbütten, Wascheimer,
Kegenfässer, selbst Badewannen und Waschgefäße. Wir halten keine
Vorräte an Fleisch mehr; das Wasser liefert uns die Wasserleitung,
und an Stelle der kleinen Holzgefäße sind solche aus Blech, Porzellan
oder Steingut getreten. Gin anderes Beispiel bietet das Zinngießer¬
gewerbe. Die zinnernen Teller und Schüsseln, welche sich früher fast
in jedem bürgerlichen und bäuerlichen Haushalt fanden, sind aus
der Mode gekommen. An ihre Stelle ist Porzellan und Steingut
getreten, und damit hat die Zinngießerei die Grundlage ihrer
Existenz fast ganz verloren.
Endlich sei noch hervorgehoben, daß in vielen Fällen das
Handwerk in völlige Abhängigkeit vom Handel gelangt ist. Der
Meister wird zum Heimarbeiter, und seine Erzeugnisse wandern
in ein Magazin, wo sie durch den Händler an den Mann gebracht
werden. Artikel wie Bürsten, Kämme, feine Korb- und Leder¬
waren, kleine Holz- und Metallgegenftände kaufen wir in größeren
Städten fast nie mehr beim Handwerker, der diese Sachen herstellt,
sondern im Kurzwarenladen; ja wir geben sogar dort unsere Be¬
stellungen auf, wenn wir ein Stück nach eigenem Geschmacke haben
wollen.
Überblicken wir den geschilderten Umbildungsvorgang auf ge¬
werblichem Gebiete, so erkennen wir: das Handwerk ist in allen
Fällen, wo es gebrauchsfertige, raschem Verderben nicht ausgesetzte
Ware liefert, die in bestimmten Formen für Durchschnittsbedürfnisse
hergestellt werden kann, sehr gefährdet und wird vom Fabrikbetrieb
immer mehr zurückgedrängt.
Wie soll dem Handwerke geholfen werden? Das ist eine Frage,
die den Handwerkerstand unserer Zeit sehr bewegt, deren Beant-
wortung aber nicht so kurzerhand möglich ist. Nur eins wollen