Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Teil 3, [Schülerband])

E. Aus der Natut. 417 
Also wandelte Braun auf seinem Weg zum Gebirge 
stolzen Mutes dahin durch eine Wüste, die groß war, 
lang und sandig und breit, und als er sie endlich durchzogen, 
kam er gegen die Berge, wo Reineke pflegte zu jagen; 
selbst noch Tages zuvor hatt' er sich dorten erlustigt. 
Aber der Bär ging weiter nach Malepartus; da hatte 
Reineke schöne Gebäude. Von allen Schlössern und Burgen, 
deren ihm viele gehörten, war Malepartus die beste. 
Reineke wohnte daselbst, sobald er Übles besorgte. 
Braun erreichte das Schloß und fand die gewöhnliche Pforte 
fest verschlossen. Da trat er davor und besann sich ein wenig; 
endlich rief er und sprach: „Herr Oheim, seid Ihr zu Hause? 
Braun, der Bär, ist gekommen, des Königs gerichtlicher Bote. 
Denn es hat der König geschworen, Ihr sollet bei Hofe 
vor Gericht Euch stellen — ich soll Euch holen, damit Ihr, 
Recht zu nehmen und Recht zu geben, keinem verweigert — 
oder es soll Euch das Leben kosten; denn bleibt Ihr dahinten, 
ist mit Galgen und Rad Euch gedroht. Drum wählet das Beste: 
Kommt und folget mir nach; sonst möcht' es Euch übel bekommen.“ 
Reineke hatte die Worte gehört; doch fürchtet' er klüglich, 
andre möchten noch neben dem Boten im Hinterhalt liegen. 
Als er sich aber versichert, der Bär sei einzeln gekommen, 
ging er listig hinaus und sagte: „Wertester Oheim, 
seid willkommen! Verzeiht mir, ich habe Vesper gelesen; 
darum ließ ich Euch warten. Ich dank' Euch, daß Ihr gekommen; 
denn es nützt mir gewiß bei Hofe, so darf ich es hoffen. 
Seid zu jeglicher Stunde, mein Oheim, willkommen! Indessen 
bleibt der Tadel für den, der Euch die Reise befohlen; 
denn sie ist weit und beschwerlich. O Himmel, wie Ihr erhitzt seidl 
Eure Haare sind naß und Euer Odem beklommen. 
Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden 
als den edelsten Mann, den er am meisten erhöhet? 
Aber so sollt' es wohl sein zu meinem Vorteil; ich bitte, 
helft mir am Hofe des Königs, allwo man mich übel verleumdet! 
Morgen setzt' ich mir vor, trotz meiner mißlichen Lage 
frei nach Hofe zu gehen, und so gedenk' ich noch immer; 
nur für heute bin ich zu schwer, die Reise zu machen. 
Leider hab' ich zu viel von einer Speise gegessen, 
die mir übel bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe. 
Lesebuch für die Oberstufe.
	        
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