Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Teil 3, [Schülerband])

418 E. Aus der Natur. 
Braun versetzte darauf: „Was war es, Oheim?“ Der andre 
sagte dagegen: „Was könnt' es Euch helfen, und wenn ich's erzählte! 
Kümmerlich frist' ich mein Leben; ich leid' es aber geduldig. 
Ist ein armer Mann doch kein Graf! Und findet zuweilen 
sich für uns und die unsern nichts Besseres, müssen wir freilich 
Honigscheiben verzehren; die sind wohl immer zu haben; 
doch ich esse sie nur aus Not; nun bin ich geschwollen. 
Wider Willen schluckt' ich das Zeug — wie sollt' es gedeihen? 
Kann ich es immer vermeiden, so bleibt mir's ferne vom Gaumen.“ 
„Ei, was hab' ich gehört?“ versetzte der Braune, „Herr Oheim! 
Ei, verschmähet Ihr so den Honig, den mancher begehret? 
Honig, muß ich Euch sagen, geht über alle Gerichte, 
wenigstens mir; o, schafft mir davon, es soll Euch nicht reuen! 
Dienen werd' ich Euch wieder.“ — „Ihr spottet,“ sagte der andre. 
„Nein, wahrhaftig!“ verschwur sich der Bär, „es ist ernstlich gesprochen.“ 
„Ist dem also,“ versetzte der Rote, „da kann ich Euch dienen; 
denn der Bauer Rüsteviel wohnt am Fuße des Berges; 
Honig hat er — gewiß, mit allem Eurem Geschlechte 
saht Ihr niemals so viel beisammen!“ Da lüstet' es Braunen 
übermäßig nach dieser geliebten Speise. „O, führt mich,“ 
rief er, „eilig dahin! Herr Oheim, ich will es gedenken; 
schafft mir Honig, und wenn ich auch nicht gesättiget werde.“ 
„Gehen wir,“ sagte der Fuchs; „es soll an Honig nicht fehlen. 
Heute bin ich zwar schlecht zu Fuße; doch soll mir die Liebe, 
die ich Euch lange gewidmet, die sauern Tritte versüßen. 
Denn ich kenne niemand von allen meinen Verwandten, 
den ich verehrte wie Euch. Doch kommt! Ihr werdet dagegen 
an des Königes Hof am Herrentage mir dienen, 
daß ich der Feinde Gewalt und ihre Klagen beschäme. 
Honigsatt mach ich Euch heute, soviel Ihr immer nur tragen 
möget.“ Es meinte der Schalk die Schläge der zornigen Bauern. 
Abend war es geworden, und Reineke wußte, gewöhnlich 
liege Rüsteviel nun in seiner Cammer zu Bette, 
der ein Zimmermann war, ein tüchtiger Meister. Im Hofe 
lag ein eichener Stamm; er hatte, diesen zu trennen, 
schon zwei tüchtige Keile hineingetrieben, und oben 
klaffte gespalten der Baum fast ellenweit. Reineke merkt' es, 
und er sagte: „Mein Oheim, in diesem Baume befindet 
sich des Honiges mehr, als Ihr vermutet; nun stecket
	        
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