Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Teil 3, [Schülerband])

E. Aus der Natur. 9 
Eure Schnauze hinein, so tief Ihr möget. Nur rat' ich: 
Nehmet nicht gierig zu viel; es möcht' Euch übel bekommen.“ 
„Meint Ihr,“ sagte der Bär, „ich sei ein Vielfraß? Mit nichten! 
Maß ist überall gut, bei allen Dingen.“ Und also 
ließ der Bär sich betören und steckte den Kopf in die Spalte 
bis an die Ohren hinein und auch die vordersten Füße. 
Reineke machte sich dran; mit vielem Ziehen und Zerren 
bracht' er die Keile heraus; nun war der Braune gefangen, 
Haupt und Füße geklemmt; es half kein Schelten noch Schmeicheln. 
Vollauf hatte der Braune zu tun, so stark er und kühn war; 
und so hielt der Neffe mit List den Oheim gefangen. 
Heulend plärrte der Bär, und mit den hintersten Füßen 
scharrt' er grimmig und lärmte so sehr, daß Rüsteviel aufsprang. 
Was es wäre, dachte der Meister, und brachte sein Beil mit, 
daß man bewaffnet ihn fände, wenn jemand zu schaden gedächte. 
Braun befand sich indes in großen Ängsten; die Spalte 
klemmt' ihn gewaltig; er zog und zerrte, brüllend vor Schmerzen. 
Aber mit alle der Pein war nichts gewonnen; er glaubte, 
nimmer von dannen zu kommen — so meint' auch Reineke freudig. 
Als er Rüsteviel sah von ferne schreiten, da rief er: 
„Braun, wie steht es? Mäßiget Euch und schonet des Honigs! 
Sagt, wie schmeckt es? Rüsteviel kommt und will Euch bewirten; 
nach der Mahlzeit bringt er ein Schlückchen; es mag Euch bekommen!“ 
Da ging Reineke wieder nach Malepartus, der Feste. 
Aber Rüsteviel kam, und als er den Bären erblickte. 
lief er, die Bauern zu rufen, die noch in der Schenke beisammen 
schmauseten. „Kommt!“ so rief er. „In meinem Hofe gefangen 
hat sich ein Bär; ich sage die Wahrheit.“ Sie folgten und liefen; 
jeder bewehrte sich eilig, so gut er konnte. Der eine 
nahm die Gabel zur Hand und seinen Rechen der andre, 
und der dritte, der vierte, mit Spieß und Hacke bewaffnet, 
kamen gesprungen, der fünfte, mit einem Pfahle gerüstet. 
Ja, der Pfarrer und Küster, sie kamen mit ihrem Geräte. 
Auch die Köchin des Pfarrers (sie hieß Frau Jutte, sie konnte 
Grütze bereiten und kochen wie keine) blieb nicht dahinten, 
kam mit dem Rocken gelaufen, bei dem sie am Tage gesessen, 
dem unglücklichen Bären den Pelz zu waschen. Der Braune 
hörte den wachsenden Lärm in seinen schrecklichen Nöten. 
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