364 Poesie. — Der Roman.
aber ich fand keinen Mundvoll Brot mehr. Hätte ich's nur auch eine Viertelstunde
länger gespart!
Die Mutter fragte jeßt eben das auch die andern Kinder; und so hatten
alle eine herzinnige Freude darüber, daß sie morgen ihr Abendbrot armen Kindern
geben sollten.
Die Mutter ließ sie eine Weile diese Freude genießen; dann sagte sie
ihnen: „Kinder! es ist jeßt genug hievon. Denket jetzt auch daran, wie unser
gnädiger Herr euch so schöne Geschenke gemacht hat.“
„Ja, unsre schönen Batzen! Willst du sie uns doch zeigen, Mutter?“ sagten
die Kinder. „Hernach, nach dem Beten,“ sagte die Mutter. Die Kinder jauchzeten
vor Freuden.
Die Ernsthaftigkeit der Gebetstunde.
„Ihr lärmet, Kinder!“ sagte die Mutter. „Wenn euch etwas Gutes begegnel
so denket doch bei allem an Gott, der uns alles giebt. Wenn ihr das thut
Kinder! so werdet ihr in keiner Freude wild und ungestüm sein. Ich bin selbe
gern mit euch fröhlich, ihr Lieben! aber wenn man in Freude und Leid ungestün
und heftig ist, so verliert man die stille Gleichmüthigkeit und Ruhe seines Herzens
Und wenn der Mensch kein stilles, ruhiges und heiteres Herz hat, so ist ihm nich
wohl. Darum muß er Gott vor Augen haben. Die Gebetstunde des Abend⸗
und Morgens ist dafür, daß ihr das nie vergesset. Denn wenn der Mensch Got
danket oder betet, so ist er in seinen Freuden nie ausgelassen und in seinen
Sorgen nie ohne Trost. Aber darum, Kinder! muß der Mensch besonders in
seiner Gebetstunde suchen ruhig und heiler zu sein. Sehet, Kinder! wenn ihr den
Vater recht danket für etwas, so jauchzet und lärmet ihr nicht: ihr fallet ihm stil
und mit wenigen Worten um den Hals; und wenn's euch recht zu Herzen geheh
so steigen euch Thränen in die Augen. Sehet Kinder! so ist's auch gegen Got
Wenn's euch recht freuet, was er euch Gutes thut, und wenn es euch recht in
Herzen ist, zu danten, so machet ihr gewiß nicht viel Geschreies, und Geredes
aber Thränen kommen euch in die Augen, daß der Vater im Himmel so gut is
Sehet, Kinder! dafür ist alles Beten, daß einem das Herz im Leib gegen Gol
und Menschen immer dankbar bleibe; und wenn man recht betet, so thut man
auch recht und wird Gott und Menschen lieb in seinem ganzen Leben.“
Nicelas. Auch dem gnädigen Herrn werden wir recht lieb, wenn wir recht
thun, sagtest du gestern.
Mutter. Ja, Kinder! es ist ein recht guter und frommer Herr. Golt
lohne ihm Alles, was er an uns thut. Wenn du ihm einst nur recht lieb wirst
Nieclas!
Niclas. Ich will ihm thun, was er will; wie dir und dem Vater wil
ich ihm thun, was er will, weil er so gut ist.
Multter. Das ist brav, Niclas! Denk nur immer so, so wirst du ihm ge⸗
wiß lieb werden.
Nielas. Wenn ich nur auch einmal mit ihm reden dürste!
Mutter. Was wolltest du mit ihm reden?
Niclas. Ich wollte ihm danken für den schönen Batzen.
Anneli. Dürftest du ihm danken?
Nielas. Warum das nicht?
Anneli. Ich dürft's nicht.
Lise. Ich auch nicht.
Mutter. Warum dürftet ihr das nicht, Kinder?