Full text: [Teil 3 (6., 7. & 8. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 (6., 7. & 8. Schuljahr), [Schülerband])

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F 
Der alte Löwe. 
Ein alter Löwe lag kraftlos vor leiner Höhle und erwartete 
den Tod. Die Liere, welche sonst in Schrecken gerieten, wenn 
sie ihm sahen, bedauerten ihn nicht; denn wer betrübt lich 
wohl über den Tod eines Priedenstörers, vor dem man nie rubig 
und ficher lein kann? die freuten fsich vielmehr, dab fie nun 
bald ihn los sein würden. Vinige von ihnen, die noch immer 
das Unglück schmerzte, welches er ihnen ehedem angethan hatte, 
wollten nun ihren alten Haßb an ihm auslassen. Der arglistige 
FPuchs kränkte ihn mit beibenden Reden; der Wolf sagte ihm 
die argsten Schimpfworte; der Ochs stieb ihn mit den Hörnern; 
das wude Schwein verwundete ibn mit seinen Hauern; lelbst 
der träge Plel gab ihm einen Schlag mit seinem Hufe. Das 
edle Pferd allein stand dabei und that ihm nichts, obgleich 
der Löwe ihm seine Mutter zerrislen hatte. ,Willst du nicht“, 
fragte der Plel, ‚dem Löwen auch eins hinter die Ohren geben? 
Das Pferd antwortete ernsthaft: „Ich halte es für niederträchtig, 
mich an einem Peinde zu rächen, der mir nicht schaden kann.“ 
15 
V. 
Der Star. 
Es gibt vielleicht keinen Vogel, welcher munterer, heiterer, 
fröhlicher wäre als der bei uns einheimische gemeine Star, in 
manchen Gegenden auch Sprehe genannt. Als Zugvogel hat 
er uns im Spätherbst verlassen und sich während des Winters 
mit seinesgleichen in Gesellschaft von Dohlen, Drosseln und ähn— 
lichen Vögeln in Südeuropa, auch wohl in Nordafrika umher— 
getrieben; aber schon im Beginne des März, meistens noch vor 
der Schneeschmelze, kehrt er zu uns zurück. Wenn er ankommt, 
ist das Weiter noch recht trübe, Schneeflocken wirbeln vom Himmel 
hernieder, die Nahrung ist knapp; aber der Star läßt sich durch 
diesen unfreundlichen Willkomm nicht aus seiner guten Laune 
bringen. Er snat schon vom ersten Tage an heiter und vergnügt 
sein Lied in die Welt hinein und b sich dazu nach seiner Ge— 
wohnheit auch noch auf die höchsten Punkte, wo das Wetter ihm 
von allen Seiten beikommen kann. — Sein Lied ist freilich kein 
kunstgerechter Gesang, sondern mehr ein Gemisch von pfeifenden, 
schnalzenden, weh nen mitunter schnarrenden Lauten; es wird 
aber mit so viel Lust und Fröhlichkeit vorgetragen, daß jeder— 
mann ihm mit Vergnügen zuhört. Ein sellenes Nachahmungs— 
vermögen, das dem Siare eigen ist, vermehrt noch die Ergötz—
	        
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