Full text: Naturkunde, Erdkunde, Geschichte, deutsche Sprachlehre, Münz-, Maß- und Gewichtkunde (Theil 2)

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Geschichte 
zu steuern, rückten Russen und Preußen zum zweitenmal in Polen ein, und 
1793 vereinten nochmals 5000 Q.M. mit ihren Landen. Der verzweifelte Kampf 
der ,Polen unter dem heldenmütigen Kosciusko führte nur zur dritten 
1795 Theilung, durch die außer Russland und Preußen auch Oestreich vergrößert 
wurde, und das durch Zwietracht geschwächte, unglückliche Polen aufhörte, 
ein selbständiger Staat zu sein. 
8- 38. Kaiser Joseph II. Maria Theresia's geistvoller Sohn 
war seit 1765 deutscher Kaiser und Mitregent seiner Mutter. Wiewol sein 
1778 Plan, Bayern durch Abtretung und später durch Tausch gegen die Nieder- 
1785 lande zu erwerben, an Friedrichs des Großen Widerstand gescheitert war 
(indem der 66jährige Held nochmals in Böhmen in den Waffen erschien 
und dann einen deutschen Fürstenbund stiftete), so gehörte doch der für Frei¬ 
heit und Völkerglück schwärmende Fürst zu eben dieses Friedrich's edelsten 
Bewunderern und Nacheiferern. Schon bei seiner Mutter Leben war es 
1774 ihm gelungen, die Folter in Oestreich abzuschaffen, dagegen hatte erden 
Adel zur Erleichterung der Frohnden nickt bewegen können. Durch There- 
1780 sta's Tod Alleinherr begann er sogleich mit Feuereifer seine lange gehegten 
Pläne auszuführen. Er erklärte sich unabhängig vom Papste, hob von 
den 21,000 Klöstern seines Landes 624 auf, wodurch er 46,000 Menschen 
1781 einem thätigen Berufe zurückgab, gestattete durch sein Toleranzedikt 
allen Glaubensgenossen, selbst den Juden, nickt nur freie Religionsübung, 
sondern Zutritt zu allen Aemtern, hob die Leibeigenschaft, Todesstrafe und 
Büchercensur auf und stiftete von dem Vermögen der eingegangenen Klöster 
viele Pfarreien, Schulen, Kranken- und Arbeitshäuser, Taubstummenan¬ 
stalten w. Dagegen verbot er die Einfuhr fremder Luruswaaren und schickte 
selbst die ausländischen Weine aus dem Schlosskeller ins Krankenhaus. 
Er lebte für sich sparsam und einfach, suchte den Armen in seiner Hütte und 
den Künstler in seiner Werkstätte auf, half, wo er konnte, mit Wort und 
That, war gegen alle liebreich und leutselig und dachte stets darauf, seinen 
Unterthanen zu sein, was ein guter Vater seinen Kindern ist. Auch er 
nannte sich den ersten Stäatsdiener, vor denen er sich nicht durch äußere 
Pracht, sondern durch größere Verdienste auszeichnen wollte. Aber seine 
Reformen waren zu gewaltsam, und seine Unterthanen für die ihnen zuge¬ 
dachte Freiheit und Aufklärung noch nicht reif. Das niedere Volk in 
Oestreich betete ihn an, aber der Adel brach in offenen Aufstand aus, die 
Geistlichkeit untergrub im Stillen sein Gebäude, und selbst die ungarischen 
Bauern, deren größter Wohlthäter er hatte werden wollen, traten ihm als 
unversönliche Feinde entgegen. Zu gleicher Zeit griffen die Niederlande, 
deren Rechte er angetastet hatte, zu den Waffen, verdrängten Joseph's 
Besatzungen und erklärten sich als vereinigten Staat von Belgien für un- 
1790 abhängig. 
Joseph selbst kehrte krank aus dem mit Russland unternommenen wenig 
erfolgreichen Türkenkriege zurück. Der Schmerz, seines Herzens heißeste 
Wünsche vereitelt zu sehen, brach seine letzte Kraft, ehe er das 49teLebens- 
1790 jähr erreicht hatte. Denn von empörten Völkern gedrängt, sah er sich ge¬ 
nötigt, seine in der reinsten Absicht in Ungarn und Tyrol erlassenen Verord-
	        
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