Full text: Lesebuch für die Oberstufe (Abteilung 2, [Schülerband])

26. Friedrich Wilhelm J. und Jugendgeschichte Friedrichs des Großen. 207 
ward der Kronprinz den Rhein hinab nach der preußischen Festung 
Wesel gebracht und dann in Küstrin gefangen gesetzt. 
5. In Küstrin saß der Prinz nun im strengen Arrest. Die 
Thür seines Zimmers war mit neuen, starken Schlössern und Riegeln 
versehen, im Vorzimmer schlief der wachthabende Offizier, an der Thür 
und auf der Treppe stand Wache. Niemand durfte länger bei ihm 
bleiben als vier Mnuten. Seine Kleidung bestand in einem schlechten, 
blauen Rocke; ganz gewöhnliche hölzerne Schemel dienten zum Sitzen. 
Die einfachen Speisen wurden ihm geschnitlen gebracht. Tinte und 
Papier waren ihm nicht verstattet, cbenso wenig Bücher und Flöte. 
Icden Morgen hatten zwei Offiziere das Zimmer zu untersuchen, ob 
Awa verbotene Dinge sich fänden. Wie mochte da dem stolzen Königs⸗ 
sohne zu Mute sein Auch sein Freund und Mitschuldiger Katte, der 
bersäumt hatte, noch beizeiten sich zu retten, wurde gefangen gesetzt. 
Der Konig sah jetzt in seinem Sohne nur den Offizier, den Oberst⸗ 
entenant Frit, der sträflicher Weise habe desertieren wollen. Er setzte 
ein Kriegsgericht nieder, welches ihn, sowie den Lieutenant Katte als 
Deserteure richten sollte. Man fürchtete, der erbitterte Vater wolle 
seinem Sohne ans Leben. Die Richter erklärten aber einstimmig, 
als Unterthanen komme es ihnen nicht zu, über Vorfälle zu richten, 
die in der kbbniglichen Familie stattgefunden. Der König nahm den 
Beschluß ohne Widerrede hin; jedoch das Urteil über Katte ver— 
andelte erx unwiderruflich in Todesstrafe. Der früher so leichtsinnige 
Jungling zeigte die tiefste Reue und wendete jetzt im Angesicht des 
Zodes sein Herz zu Gott. Vor des Kronprinzen Augen, unter dem 
Fenster seines Gefängnisses, auf dem Walle zu Küstrin wurde Katte 
mit dem Schwert hingerichtet, und zwar auf ausdrücklichen Befehl des 
Königs. Das waren schwere Stunden für den armen Gefangenen! 
Verzeihung, teurer Katte!“ rief er seinem Freunde weinend aus dem 
Fenster entgegen. Der Tod für einen solchen Prinzen ist süß!“ gab Katte 
zur Antwort. Als er gefaßt den Todesstreich empfing, da brach dem 
Prinzen das Herz. Er siel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich gekommen, 
andte er den ganzen Tag über kein Auge von der Richtstätte. 
. Noch schwebte der Kronprinz zwischen Leben und Tod, und 
in diesem Zustande öffnete er willig sein Herz den christlichen Tröstungen 
und Zusprachen desselben Geistlichen, der seinen Freund zum Tode 
bobereuel hatte. Mit Freuden vernahm der König die Nachricht von 
der Umwandlung und tiefen Reue des Sohnes, den er schon verloren 
gegeben. Er ließ ihm ankündigen, daß er einen Anfang der Ver— 
gebung machen und ihn aus dem scharfen Arrest entlassen wollte. 
Friedrich erhielt Degen und Orden zurück, ging zur Kirche und nahm 
das heilige Äbendmahl. Noch durfte er aber Küstrin und seine nächste 
Umgebung nicht verlassen. Er sollte die Verwaltung des Staates 
durch eigene Übung genau kennen lernen, sich um die Viehzucht, die 
Aderwirischaft, das Bauwesen bekümmern. Er sollte sehen, wie die 
Pächter ihre Erzeugnisse vorteilhaft zu Gelde machen; „denn er müsse
	        
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