Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen in Elsaß-Lothringen

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sondern sie wird auch zu vielerlei gewerblichen Zwecken verarbeitet. 
So bereitet man aus Kartoffeln Spiritus; auch die Stärke, mit 
welcher die Büglerin die Wäsche stärkt, ist häufig aus Kartoffeln ge— 
wonnen. Die Kartoffel dient sogar zur Bereitung eines Zuckers, des 
sogenannten Kartoffelzuckers, der freilich nicht so lecker und süß ist 
als der Kandis; aber der Bierbrauer gebraucht diesen Zucker, um 
seinem Biere mehr Geschmack zu verleihen, und leider auch mancher 
Rebmann oder Weinhändler, um seinen sauren Wein süß zu machen. 
Besser wäre es, man täte den Kartoffelzucker nicht hinein. Es geht 
einmal nichts über Bier, das sein ehrlich Teil Hopfen und Malz hat, 
und auch nichts über Wein, diese Gottesgabe, den man rein aus den 
Händen der Natur und der Rebleute bekommt. Alles Pfuschen ist 
vom übel und überdies nicht ehrlich! Anders ist es, wenn man in 
manchen Gegenden zum Brotteige einen Teig aus gemahlenen oder 
zerriebenen Kartoffeln fügt. Kartoffelmehl und Roggen- oder Weizen⸗ 
mehl vertragen sich gut zusammen und geben ein kräftiges Brot. 
In früheren Zeiten kam es in ärmeren Gebirgsländern vor, 
daß bei Hochzeitsfeiern der Bräutigam eine Kartoffelblüte in das 
Knopfloch des Hochzeitsrockes steckte; die Braut trug einen Strauß 
schöner Kartoffelblüten. Warum denn auch nicht? Ist doch den 
Bewohnern solcher Gegenden die Kartoffel ihr Ein und Alles, ihre 
Arbeit und Sorge, ihr Nährmittel und ihr Unterhalt. Und selbst 
wenn das nicht wäre, so ist eine lebendige Blume von der trauten 
heitmatlichen Flur viel schöner als künstliche Blumen von der Putz— 
macherin in der Stadt oder aus einem teuern Modeladen. 
2 nach Land und Boden, Klima und Witterung gibt es ver— 
schiedene Kartoffe larten. Man hat bis jetzt über fünfhundert Kartoffel⸗ 
sorten unterschieden. Es gehört schon etwas dazu, alle diese Sorten 
nach ihren Namen und Merkmalen zu kennen. 
In manchen Jahren geraten die Kartoffeln nicht. Das ist dann 
allemal ein Leid für den Bauersmann und für seine Kartoffelkunden 
in der Stadt. Zu nasse, kalte Witterung sagt dem Wachstum der 
Kartoffel nicht zu. Viel Sonnenschein und Wärme, dann und wann 
fruchtbarer Regen, das sind der Kartoffel beste Nährer und Erzieher. 
Das größte Leidwesen widerfährt jedoch dem Menschen, wenn 
Krankheiten das nützliche Gewächs heimsuchen. Bei der Kartoffel— 
krankheit tritt stets ein Pilz auf, den man mit bloßem Auge gar nicht 
wahrnehmen kann. Die Samen dieses Pilzes, welcher kleiner ist als 
das Schimmelpflänzchen im faulenden Brot oder als der, welcher die 
Tinte überzieht, werden vom Winde fortgetrieben. Mit seinen feinen
	        
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