Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Elementarschulen in Elsaß-Lothringen

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„Nun wird auch bald mein Geschäftsfreund, das Büblein, kommen, 
Prosit Neujahr sagen und mit mir abrechnen.“ Aber diesmal hatte 
der Erzbischof fehlgeschossen; denn das Büblein kam nicht. Wieder 
ein Jahr verging, und — mein Büblein blieb aus. „O weh!“ dachte 
der Erzbischof; „der ist auch auf den breiten Weg geraten, den viele 
gehen, und der zum Abgrund führt.“ Und mancher Leser wird kurz— 
weg meinen: „Hab' mir's doch gleich gedacht, daß es so käme; denn 
Undank ist einmal der Welt Lohn!“ Ich aber sage: „Wer wird gleich 
so übel von den Leuten denken? Meint ihr, Liebe und Dankbarkeit 
seien in der Welt ausgestorben? Weit gefehlt! Ich weiß es wahr— 
haftig besser. Hört nur weiter!“ 
Es waren drei, vier, ja am Ende sechs Jahre vergangen, und 
der Bischof hatte reinweg die ganze Geschichte vergessen. Da ließ sich 
einmal am Sylvestertage ein junger Mensch melden, der dringend 
den Erzbischof zu sprechen wünschte. Als ihn nun der Erzbischof vor— 
ließ, trat ein schmucker Bursche herein, gut gekleidet und recht an— 
ständig und manierlich. — „Ihr entsinnt Euch wohl noch, gnädigster 
Herr,“ hob nach einer ehrfurchtsvollen Begrüßung der junge Bursche 
an, „daß Ihr einst einem Savoyarden ein Murmeltierchen auf Halb— 
part gabet?“ — „Ach ja,“ sagte der Erzbischof, „der hat aber sein 
Wort schlecht gehalten. Wisset Ihr etwas von ihm?“ — „O,“ sagte 
der junge Mensch, „urteilt nicht so hart über ihn! Dazumal, als 
er von Euch schied, ging er über den Rhein, durchwanderte ganz 
Deutschland und wandte sich dann nach Paris. Er dachte immer an 
Euch und an seine Schuld; aber es war so weit, und Sylvestertag 
ist im hohen Winter. Da meinte er denn, er könne seine Schuld wohl 
auf einmal abthun. In Paris starb ihm das Tierchen. Nun war 
guter Rat teuer; aber der liebe Gott weiß überall ein Thürlein auf— 
zuthun für den, der ihm vertraut. Es fand sich ein Kamerad, der sich 
auch etwas erspart hatte. Mit dem machte der Savoyarde wieder 
Halbpart, und beide fingen einen Handel an. Der ging gut, und als 
der Kamerad heimging, übernahm der andere den Handel, und Gottes 
Segen wich nicht von ihm. Doch länger konnt er's nicht mehr aus— 
halten. Als er dies Jahr seine Bücher abschloß und die Ersparnisse 
berechnete, nahm er die Hälfte mit 2000 Gulden und bringt's Euch 
hier mit tausendfachem Dank.“ Dabei legte der junge Mensch ein 
paar tüchtige Rollen mit Thalern auf den Tisch. Der Erzbischof 
fuhr wieder mit der Hand über die Augen und rief: ‚Wie? Ihr 
seid's am Ende selber? Habt Ihr denn so viel mit dem Tierlein 
gewonnen?“ — ‚Das gerade nicht,“ erwiderte der Savoyarde; „aber
	        
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