Full text: [Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband])

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Frühling seine volle Kraft dahinein ergieße. Es hat nun die Richtung, 
in welcher es zu einem tüchtigen Baum erwachsen kann.“ 
So wie der Frühling vorrückte, breitete auch das Bäumchen seine 
Zweige und Äste immer lustiger aus. Der Knabe freute sich, wenn 
s sah, und holte den Vater herbei, als er die ersten Blüten daran 
enldeckte — Dieser griff aber wieder nach seinem Messer und schnitt 
die Spitzen der Zweige samt den Blüten hinweg. 
„O schade! schade!“ rief der Knabe; jeder Schnitt des Vaters war 
ihm durchs Herz gegangen. „Wie lannst du auch nur so grausam 
sein? Das arme, arme Bäumchen!“ 
„Laß dir's darum nicht leid sein!“ erwiderte der Vater. „Ich 
habe ihm nur den üppigen Trieb genommen, durch den es verwildern 
Purde An dieser vorzeitigen Fruchtbarkeit hätte sich seine Kraft er— 
schöpft, ehe sie zu ihrer völligen Entwicklung gekommen wäre.“ — 
„Aer freue dich, mein Sohn!“ setzte er hinzu. „Diese Blüten sind 
Uns ein Zeichen seiner innern Tüchtigkeit. Lassen wir ihm Zeit, stark 
zu werden, und wir dürfen das Beste hoffen!“ 
Es waren Jahre vergangen. — Im Herbste kehrte der Knabe 
wohlgebildet aus der Stadt zurück in das elterliche Haus, näher dem 
Jünglingsalter. Der Vater, nach der ersten Freude des Wiedersehens, 
lahm jeht seinen Sohn bei der Hand und führte ihn in den Garten. 
Siehe, da stand vor ihnen, stark und stämmig, der Apfelbaum, 
und seine Zweige neigten sich unter dem Segen der roten, goldenen 
Früchte. 
Siehst du, mein Sohn,“ sagte der Vater, „wie er die vollen 
Äste dir, wie zum Gruß, entgegenbreitet? Es ist ein freudiger, 
dankbarer Baum geworden, jenes Bäumchen. — Dein Bäumchen, mein 
lieber Sohn! denn es ist ja mit dir groß und stark und herrlich ge— 
worden.“ 
Da umarmte der Vater seinen Sohn, und dieser weinte an seinem 
Halse; es war ihm, als wäre ihm jetzt zum erstenmal sein eigenes 
Meres Wesen und der Gang und die Bestimmung seines Lebens klar 
geworden. 
120. Die wiedergefundenen Söhne. 
J. G. von Herder. 
Sämtl. Werke. Bd. 3, S. 81. 
Was die Schickung schickt, ertrage: 
Wer ausharret, wird gekrönt. 
Reichlich weiß sie zu vergelten, 
Herrlich lohnt sie stillen Sinn. 
Tapfer ist der Löwensieger, 
Tapfer ist der Weltbezwinger, 
Taͤpfrer, wer, sich selbst bezwang. 
Placidus, ein edler Feldherr, 
Reich an Tugend und Verdienst, 
Beistand war er jedem Armen, 
Unterdrückten half er auf. 
Wie er einst den Feind bezwungen, 
Wie er einst das Reich gerettet, 
Rettel' er, wer zu ihm floh.
	        
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