490
VI. Aus bem Menschenleben
ruhig auf dis hohe Pelswand blieken, die er zu erklimmen hat, s0
kũme er vielleiebt sicher hinauf. Aber es loekt ihn, in die Tiefe zu-
ruekzublicken zn den Wohnungen der Mensehen, um zu sehen, wie weit
er's sehon gebracht, wie hoch er sehon über der Welt da unten sehwebt,
Kaum aber hat er sieh umgewandt, da ist's, als reibe ihn eine Zauber-
gewalt in die furehtbare Tiefe; er verliert den Halt und sturzt in wenigen
sSekunden die Abgründe hinunter, an denen er stundenlang empor-
gestiegen war. Der Marchenmaler Moritz von Sehwind hat es in einem
Gemãlde ergreifend dargestellt: wie der Bergjäger am Felsen Klebt und
oine Nebelgestalt an ihn heranschwebt und ibre Arme lockend um
seinen Hals legt, um ihn herunterzuziehen.
So ist es aber niebt nur beim Bergsteigen. Aueh wenn doer
Menseb das Verlangen hat, besser und reiner zu werden und emporzu⸗
steigen uber das Nebeltal der niederen Wunsehe, hinauf zu den höchsten
Zinnen der Selbstüberwindung — aueh da lauern sehwere Gefahren
auf ihn. Und aueh da ist es dio gröbte Gefahr des Absturzes, wenn
der Menseh nieht vorwärts sebaut auf das höchste Ziel, sondern sieh
rückwarts wendet, um stolz zu genieben, wie weit er die andern uüber-
holt hat, wie tief die kleinen Hutten da unten im Tale noch dãmmern,
wahrend ihn sehon die Morgensonne bestrablt. Wer besser werden
will, der darf nie hinter sieh und unter sieh sehen, um sieh seiner Höhe
über den andern zu freuen, weil sonst der Hochmut wie ein Schwindel
an ihn heranschwebt und ihn rettungslos in die Tiefe reißt. Denn
Tugend miĩt Dunkel ist der sehwerste Vall, den der Menseh tun kann —,
es ist dann alles umsonst, was er gestiegen ist — er sturzt in die
dunkle Tiefe der Herzenskälte hinab, er ist für die Höhe auf ewig
verloren. Vor diesem Schwindel kann sieb der Menseh nur bewahren,
wenn er nie an das denkt, was er sebon getan und erkämpft hat,
sondern nur an das Ziel in der Höhe, wenn er die Augen fest riehtet
auf das Beispiel der reinsten und größten Mensehen und sieh ganz er-
ullt mit dem Gefuhl, wie tiet er noch unter ihnen ist und wieviel noch
vor ĩbm liegt. Dann ĩst er gefeit gegen den Sehwindel. Dy. WV. Fooerster.
245. Der Fluch des Bösen.
Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.
E⸗ war im Hafen von Hamburg. Ein großer Dampfer rüstete zur
Abfahrt. Dem gewaltigen Schornstein entströmte dichter Qualm. Das
Schiff zitterte leise wie ein edler Renner, der dem Zwange der Zügel ent—
rinnen und dahinstürmen möchte. Auf dem Verdeck standen die Vassagiere,