Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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rein, stellte sich darauf ganz nahe zu dem Invaliden und sagte schmun⸗ 
zelnd zu ihm: Kollege, nun nehmt Ihr den Hut und hebt das Geld, 
und ich spiele! 
Der fing denn nun an zu spielen, daß der Alte seine Geige neu⸗ 
gierig betrachtete, als ob er sie fragen wollte, wo sie denn den wunder⸗ 
vollen Klang herhabe, und warum sie den dem Fremden leihe und ihm 
nicht. Er kannte sie gar nicht mehr. Der Ton der Geige war lauter 
Gesang und ging so wunderbar in die Seel⸗ hinein, daß man gar 
nicht wußte, wie es einem war, und die TDone rollien wie Perlen dahin. 
Manchmal war es, als jubilierten lauter Engelstimmen an der Geige, 
und dann wieder, als klagten herzergreifende Lane den tiefsten Schmerz 
einer belümmerten Menschenseele, daß einem das Wasser in die Augen 
trat. — Jetzt blieben die Leute stehn. Keiner ging vorüber. Aul⸗ 
lauschten atemlos den wundervollen Tönen und Melodien. Immer 
größer wurde der Kreis der Zuhörer. Selbst die glänzenden Karossen!) 
der vornehmen Herrschaften hiellen an. Es war, als hätten diese Töne 
eine bezaubernde, bannende Kraft und übten sie an den Wienern ein— 
mal recht aus. Was aber das Rechte war, und was der bezaubernde 
vornehme Geiger eigentlich beabsichtigte, erkannte jedermann, nämlich 
daß der kunstreiche fremde Meister fuͤr den armen Invaliden spielte, 
um das Mitleid für ihn zu wecken; man gab reichlich in den alten 
Hut, den der arme Maͤnn bittend hinhielt. Da fiel Gold, Silber und 
Kupfer, je nachdem es die Leute hatten, und je nachdem das Herz 
war, mild oder zähe. Der Pudel knurrie; war's Plasfir), oder var 
er ärgerlich, daß ihm sein Herr heute ins Handwerk pfuschte, wo es so 
vortrefflich ging? Endlich war der Hut voll. Der Alte mußte ihn 
ausleeren. Und der Fremde spielte und bewegte die Herzen so wunder⸗ 
bar, daß der Hut noch einmal schier bis zum Überlaufen voll wurde. 
Die Augen des Fremden leuchteten vor Freude, und er spielte, daß 
es todstille in der Menge waͤr, und dann plötzlich ein Beifallssturm 
losbrach, der gar nicht enden wollle, bis er wieder begann, und es 
wieder so still in der Menge wurde, daß man die Herzen hätte schlagen 
hören können, die der fremde Geiger bald froher, bald wehmütiger 
schlagen machte. 
Allmählich aber wurde es kühl uud die Abendluft feucht. Jetzt 
ging der Fremde in die Melodie des Liedes „Gon erhalte Franz den 
Kaiser usw.“ über, die jeder Osterreicher kenn und eb hat. Alle 
Hüte und Mützen flogen von den Köpfen, und allgemach wurde die 
Lust des Volkes so groß, daß tausend Stimmen das Lied sangen. 
Der Geiger spielte mit der größten Begeisterung. Plötzlich aber legte 
er die Geige in des Alten Hand, nahm seinen Hut, nictle dem Allen 
freundlich zu, und ehe der alte Mann ein. Gon vergelt's! und ein: 
Dank schön! sagen konnte, war er verschwunden. 
Der Gesang verstummte endlich, als das Lied zu Ende war. 
Wer war das? fragte das Volk, gegen den Invaliden anslürmend. 
) Die Karosse, eine Pracht⸗ oder Staatskutsche. Das Pläsir, das Vergnügen.
	        
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