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Und wir wischen uns den Schweib von der Stirn:
»Gleich, Mutter, gleich,
wir sind hungrig wie Wölfe.« —
»Gott sei Dank,« sagst du, Vater,
»wir haben das Unsrige getan.
Nun schenk uns der Himmel gut Wetter
zu Wachstum und Ernte.«
Immer seh ich uns so, ganz deutlich,
und hör jedes Wort
von dir und der seligen Mutter.
So lange ist's her, so lange, so langel
Und immer noch schwillt uns das Herz
in Hoffnung künftiger Ernten.
Michael Georg Conrad
165. Morgen vielleieht.
Der Winterabend bricht früh herein;
im Wartesaal flackert der Lampen Schein;
dort wartet, seit es Mittag schlug,
eine Frau schon auf den Abendzug;
ibr Auge trüb und unstet irrt,
sie seufzt: »Ob er wohl kommen wird?
Und wenn er heut mieh nicht erreicht —
morgen vielleicht.«
Das Dampfroß schnaubt, das Glöcklein tönt,
in die Bahnhofshalle der Schnellzug dröhnt;
Glutwolken qualmen sprühendrot
in eisige Nacht aus heibem Schlot. —
Die Frau sucht ab die Wagenreih,
ob er noch immer nieht dabei,
und spricht, — indes die Wange bleicht:
Morgen vielleicht.«
Nur fremde Leute steigen aus;
nur er. nur er Kommt nicht nach Haus!
Das Volk verläuft, die Hall' ist leer;
vom langen Spähen mũüd und schwer
fragh zögernd sie den Schaffner dann:
»Kehrt noch nicht heim mein teurer Mann?«
Der mitleidsvoll die Hand ihr reicht:
»Morgen vielleicht.«
Lesebuch für die Münchener Vollsschulen. 8. Schuljahr. Knaben.
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