Full text: Oldenburger Volksschullesebuch für Oberklassen

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der entlaubten Bäume klappert, dort eine Wolke von Schnee in die Höhe 
wirbelt, hier die Bahn verweht und dort ein Heer von Flocken vor sich hin 
über die blendende Decke jagt. Ungeachtet der schneidenden Külte und der durch— 
wachten Nacht eilt Christoph heitern Mutes und rüstigen Schritts dem Städt⸗ 
chen zu; denn er hofft, für die Webe, die er gut und schön gearbeitet hat, 
einige Groschen mehr zu bekommen als gewöhnlich. Es ist ja auch heiliger 
Abend; die Tochter Fachtels, zu dem er die Leinwand trägt und dem er schon 
seit vielen Jahren gewebt hat ist seines zweijährigen Traugotts Patin, und 
die zu hoffenden Groschen über den gewöhnlichen Lohn, zusammen mit einigen 
Dreiern, die er sich pfennigweise ersparte, sollen ihm zu einem Tuche für sein 
liebes Weib Margarete verhelfen, die zu Hause fegt, wäscht, ordnet und den 
kleinen Traugott, der am Tische neben dem Ofen spielt, ruhig zu erhalten 
sucht durch Zuruf und Erzählung. 
Ergötzt von dem Gedanken an Weib und Kind und an die bevorstehenden 
ruhigen und vergnügten Weihnachtsfeiertage, zu deren Verherrlichung ein Teil 
des Lohnes verwendet werden sollte, den er zu empfangen hatte, war Christoph 
so schnell gelaufen, daß er vor Herrn Fachtels Hause stand, ehe er es dachte 
Den reichen Fachtel, der sich in seiner Schreibstube beschäftigte, erfüllten Ver⸗ 
druß und Unwille über einen Verlust von etlichen hundert Thalern, der ihm 
vor einer Stunde bekannt geworden war. Seine Gedanken und Empfindungen 
fuhren ungestüm durcheinander. Wie sollte er den Verlust wieder gewinnen? 
wie den Ausfall decken? Bald klagte er seine Gutwilligkeit, mit welcher er 
geliehen. bald die Gewissenlosigkeit des Mannes an, der ihm den Schaden 
verursacht hatte. Daher klopfte Christoph zweimal vergeblich an die Thür 
der Schreibstube, und erst aufs drittemal gab ihm ein unfreundliches „Herein!“ 
die Erlaubnis einzutreten. Ein solcher Empfang stach gegen seine Hoffnungen 
gar sehr ab, und ob er gleich den Herrn Gevatter auss beste begrüßte und 
sich entschuldigte, wenn er gestört haben sollte, so entgegnete ihm dieser doch⸗ 
„Ei was! ich hatte nicht mehr auf Geldausgaben gerechnet! Stromweise wird 
einem Hab und Gut entrissen, und tropfenweise sammelt es der Verdienst!“ 
Christoph packte niedergeschlagen aus. Indessen hatte er noch einige Hoff— 
nung, daß die Güte der Arbeit den mürrischen Lohnherrn beschwichtigen und 
zur Milde stimmen werde. Dieser aber warf die einzelnen Lagen der tüchtigen 
Webe mit Unwillen hin und her und fragte finster: „Was gedenkt Ihr denn 
zu bekommen?“ 
„Der gewöhnliche Lohn, Herr Fachtel,“ antwortete Christoph kleinlaut 
„ist Ihnen bekannt. Weil aber die Webe so besonders gut gearbeitet ist — 
ich habe viele Stunden, wohl einen halben Tag länger daran gewebt, als an 
andern Stücken — sehen Sie nur! ein Faden liegt wie der andere; kein Ge— 
bind ist vom Einschusse übrig geblieben; man kann die Leinwand kaum durch— 
stechen, so dicht ist sie — da, dacht' ich, könnten Sie heute wohl einen 
Thaler und zwanzig Groschen geben.“ 
„Wo denkt Ihr hin?“ versetzte Fachtel. „Bei uns Großhändlern gilt 
nur das äußere Ansehen; der inneren Güte mag der Kleinhändler nachspüren. 
Das hättet Ihr bedenken sollen! Dazu kommt, daß die Zeiten immer schlechter 
werden. Ich weiß nicht, ob ich im künftigen Jahre allen meinen bisherigen 
Webern werde zu thun geben können. Kurz, mehr als einen Thaler und zwölf 
Groschen kann ich nicht geben.“ 
„Herr Fachtel,“ erwiderte Christoph erschrocken, „das ist ja weniger, als 
ich sonst bekomme.“
	        
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