Full text: Oldenburger Volksschullesebuch für Oberklassen

269 
3. Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar, 
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar. 
Der Alte mit der Harfe, ex saß auf schmuckem Roß; 
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß. 
4. Der Alte sprach zum Jungen: Nun sei bereit, mein Sohn; 
Denk' unsrer tiefsten Leder, stimm an den vollsten Ton; 
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! 
Es gilt uns heut' zu rühren des Königs steinern Herz.“ 
5. Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal, 
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl, 
Der König furchtbar prächtig, wie blütger Nordlichtschein, 
Die Königin süß und milde. als blickte Vollmond drein. 
6. Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll, 
Daß reicher, immer reicher, der Klang zum Ohre schwoll; 
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor, 
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor. 
7. Sie singen von Lenz und Liebe, von selger, goldner Zeit, 
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit; 
Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt, 
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt. 
8. Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott, 
Des Königs trohßge Krieger, sie beugen sich vor Gott; 
Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust, 
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust. 
9. „Ihr habt mein Volk verführet! verlockt ihr nun mein Weib?“ 
Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib; 
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt, 
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt. 
10. Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm; 
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Am. 
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß, 
Er bindt ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß. 
11. Doch vor dem hohen Thore, da hält der 
Da faßt er seine Harfe, sie aller Harfen Preis; 
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt; 
Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt: 
Sängergreis, 
12. ‚Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang 
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang; 
Nein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt, 
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt! 
13. Weh euch, ihr duftgen Gärten im holden Maienlicht! 
Euch zeig ich dieses Toten entstelltes Angesicht, 
Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt, 
Daß ihr in künftgen Tagen versteint, verödet liegt! 
14. Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums! 
Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blutgen Ruhms, 
Dein Name sei vergessen, in ewge Nacht getaucht, 
Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!“ —
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.