Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten

Prosa. — Sendschreiben. 
ein rechter Christenmensch besser ist und mehr Nutz vermag, denn alle Menschen 
auf Erden. Deshalb bitte ich euch alle, meine lieben Herren und Freunde, 
um Gottes und der armen Jugend willen, wollt diese Sache nicht so gering 
achten. Denn es ist eine ernste große Sache, da Christo und aller Welt viel 
an liegt, daß wir dem jungen Volke helfen und rathen. Damit ist denn auch 
uns und allen geholfen und gerathen. Und denkt, daß solche heimliche, tückische 
Anfechtung des Teufels will mit großem christlichen Ernste gewehrt sein. Liebe 
Herren, muß man jährlich so viel wenden an Büchsen, Wege, Stege, Dämme 
und dergleichen unzählige Stücke mehr, damit eine Stadt zeitlich Friede und 
Gemach habe; warum sollte man nicht vielmehr doch auch so viel wenden an 
die dürftige Jugend, daß man einen geschickten Mann oder zween hielte zu 
Schulmeistern? 
Die andere Ursache ist, daß, wie St. Paulus sagt 2. Kor. 6, 1, wir die 
Gnade Gottes nicht vergeblich empfahen und die selige Zeit nicht versäumen. 
Denn Gott der Allmächtige hat fürwahr uns Deutsche jetßt gnädiglich heimge⸗ 
sucht und ein recht golden Jahr aufgerichtst. Nun uns Gott so reichlich begna⸗ 
det und solcher Leule die Menge gegeben hat, die das junge Volk fein lehren 
und ziehen mögen, wahrlich, so ist noth, daß wir Gnade Gottes nicht in 
den bin schlagen, und lassen ihn nicht umsonst anklopfen. Er stehet vor der 
Thür; wohl uns, so wir ihm aufthun! Versehen wir's, daß er vorüber geht, 
wer wil ihn wieder holen ? Liebe Deutsche, kauft, weil der Markt vor der 
Thür ist sammelt, weil es scheinet und gut Wetter ist, braucht Gottes Gnade 
und Won, weil es da ist. Denn das sollt ihr wissen, Gottes Wort ist ein 
fahrender en der nicht wieder kommt, wo er einmal gewesen ist. 
Und ihr, Deutsche, dürft nicht denken, daß ihr ihn ewig haben werdet; denn 
der Undank ind die Verachtung wird ihn nicht lassen bleiben. Darum greife 
zu und halte zu, wer greifen und halten kann; faule Hände müssen ein böses 
Jahr haben. Die dritte (Ursache) ist wohl die allerhöchste, nämlich Gottes Ge— 
bot, der durch Mosen so oft treibt und fordert, die Eltern sollen die Kinder 
lehren, Ps. 78,3 ff, 56. Mos. 32, 7. Wiewohl es Sünde und Schande ist, 
daß es dahin mit uns gekommen ist, daß wir allexerst reizen und uns reizen 
lassen, unsre Kinde und junges Volk zu ziehen und ihr Bestes denken, so doch 
dasselbe uns die Nitur selbst sollte treiben, und auch der Heiden Exeinpel uns 
sollte mannigfaltig veisen. Und was hilfl's, daß wir sonst alles hätien und 
thäten, und wären ghich eitel Heilige, so wir das unterwegs lassen, darum wir 
allermeist leben, nämlich des jungen Volkes pflegen? Ich achte auch, daß unter 
den äußerlichen Sünden die Welt vor Gott von keiner so hoch beschwert ist und 
so greuliche Strafe verdient, als eben von dieser, die wir an den Kindern thun, 
daß wir sie nicht ziehen. 
Ja, sprichst du, solches alles ist den Eltern gesagt, was geht das die 
Rathsherren und Obrigkei an? Ist recht geredet, ja; wie, wenn die Eltern 
aber solches nicht thun? Wer solls denn thun? Aufs erste sind etliche auch 
nicht so fromm und redlich, daß sie es thäten, ob sie es gleich könnten. Aufs 
andre ist der größte Haufe dex Eltern leider ungeschickt dazu und weiß nicht, 
wie man Kinder ziehen und a soll. Aufs dritte, obgleich die Eltern ge⸗ 
schickt wären und wollten's gern selbst thun, so haben sie vor andern Geschäften 
und Haushalten weder Zeit, noch Raum dazu, also daß die Noth zwinget, ge— 
meine Zuchtmeister für die Kinder zu halten; es wollte denn ein seglicher ⸗ 
sich selbst einen eigenen halten. Daxum will's hie dem Rath und der Obrig— 
keit gebühren, die allergrößte Sorge und Fleiß auf's junge Volk zu haben.
	        
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