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Es führt ein Schicksal an verborgnem Band
Den Menschen auf geheimnisvollen Pfaden!
Doch über ihm wacht eine Götterhand?
Und wunderbar entwirret sich der Faden.
Es giebt keinen Zufall,
Und was uns blindes Ungefähr nur dünkt,
Gerade das steigt aus den tiefsten Quellen.
'Etwas fürchten und hoffen und sorgen
Muß der Mensch für den kommenden Morgen,
Daß er die Schwere des Daseins ertrage
Und das ermüdende Gleichmaß dex Tage,
Und mit erfrischendem Windesweben
Kräuselnd bewege das stockende Leben.
Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen;
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft;
Dort, in der fremden Welt, stehst du allein.
Jedem Verdienst ist eine Bahn zur Unsterblichkeit aufgethan, zu
der wahren Unsterblichkeit meine ich, wo die That lebt und weiter eilt,
wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte.
125. Die Kunst.
Überall, wohin der Mensch kommt, drückt er die Spuren seines
Daseins dem Antlitz der Erde auf. Wenn Ansiedler in unbebaute
Gegenden vordringen, bleibt alsbald kein Baum und kein Strauch an
der Stelle, wo er von Natur gewachsen ist, kein Stein auf dem andern,
wo er seit Jahrtausenden gelegen hat. In wenig Monden und Jahren
verwandelt sich das Ansehen des Landes weit und breit; die finstern
Wälder werden ausgerodet, die Sümpfe abgezapft, die Wildnis ver¬
schwindet und macht Saatfeldern Platz, die nach Maß und Zahl regel¬
mäßig abgeteilt und gefurcht sind. Der Herr der Erde zieht in sein
Erbteil ein, und die Natur muß ihm dienen; sobald er kommt, hat
ihre Herrschaft ein Ende. So beweist der Mensch an der Natur die
Macht seines Verstandes, sein Kennen und sein Können. Vom Können
hat die Kunst ihren Namen, und die Kunst, wenn wir sie so im all¬
gemeinen der Natur entgegen setzen, bedeutet das Vermögen des Menschen,
die Natur zum Mittel für seine Zwecke zu gebrauchen oder sie seinen
Absichten dienstbar zu machen.