Full text: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten

157 
»So wirft Du glücklich sein, wie ich, 
»So bleibt stets diese Welt Dir schön.- 
Der Knabe schmiegte zitternd sich 
An seines Vaters Arm und sprach: 
»Mein Vater, nein. Du stirbst noch nicht! 
»Du lebst noch lange mir zum Glück!- 
Und viele Thränen flössen ihm 
Vom Aug'. — Indessen hatten sie 
Die Reusen ausgelegt. Die Nacht 
Bedeckte schon mit Dunkelheit 
Das weite Meer; sie ruderten 
Gemach der Hcimath wieder zu. 
Irin starb bald. Sein frommer Sohn 
Beweint' ihn lang, und niemals kam 
-Ihm dieser Abend aus dem Sinn. 
Ein heil'ger Schauer überfiel 
Ihn, wenn ihm seines Vaters Bild 
Vor's Antlitz trat. Er lebte stets 
Nach dessen Lehren. Segen kam 
Auf ihn. Sein langes Leben schien 
Auch ihm ein Frühlingstag zu sein. v. Kleist. 
83. Myrtill. 
Bei stillem Abend hatte Myrtill noch den mondbeglänzten 
Sumpf besucht; die stille Gegend im Mondschein und das Lied 
der Nachtigall hatten ihn in stillem Entzücken aufgehalten. Aber 
jetzt kam er zurück in die grüne Laube von Rebön vor seiner 
einsamen Hütte und fand seinen alten Vater, sanft schlummernd, 
im Mondschein hingesunken, sein graues Haupt auf den einen 
Arm hingelehnt. Da stellte er sich, die Arme in einander ge¬ 
schlungen, vor ihn hin. Lange stand er da, sein Blick ruhete unver¬ 
wandt auf dem Greise, nur blickte er zuweilen durch das glänzende 
Rebenlaub zum Himmel auf, und Freudenthränen flössen dem 
Sohne vom Auge. 
„D du," sprach er jetzt, „du, den ich nächst den Göttern 
am meisten ehre, Vater, wie sanft schlummerst du da! Wie 
lächelnd ist der Schlaf des Frommen! Gewiß ging dein zit¬ 
ternder Fuß aus der Hütte hervor, im stillen Gebete den Abend 
zu feiern, und betend schliefest du ein. Du hast auch für mich 
gebetet, Vater. Ach, wie glücklich bin ich! Die Götter hören 
dein Gebet; oder warum „ruhet unsere Hütte so sicher unter den 
von Früchten gebogenen Ästen? Warum ist der Segen auf 
unserer Heerde und auf den Früchten unseres Feldes? Oft, 
wenn du bei meiner schwachen Sorge für die Ruhe deines mat-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.