Full text: Lesebuch für die Oberklassen evangelischer Elementarschulen in Elsaß-Lothringen

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sie nicht zu betrüben, und um das Geld wieder zu ihrem Vergnügen 
anzuwenden, bis die letzte Kopeke aus den Händen war. — Das gute 
Geld war zu einem andern Gebrauche zu bestimmen, aber man kann 
nicht an alles denken; denn als endlich die Stunde der Erlösung 
schlug, da gesellte sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz 
der Trennung und zum bitteren Schmerze — die Not; denn es fehlte 
an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise 
in den Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtbaren 
Gegend nötig war; und ob auch auf den Mann, solange sie durch 
Rußland zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht wur— 
den, so reichte doch das Wenige nirgend hin. — Darum ging in 
diesen letzten Tagen der Schneider — sonst so frohen, leichten Mutes 
— still und nachdenkend herum, als der etwas im Sinne hat, und 
war wenig mehr zu Hause. „Es geht ihm recht zu Herzen!“ sagten 
die Herren Rheinländer und merkten nichts; aber auf einmal kam er 
mit großen Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück: „Kin— 
der, es ist Rat! Geld genugl‘“ — Was war's? — Die gute Seele 
hatte für zweitausend Rubel das Haus verkauft. „Ich will schon eine 
Ünterkunft finden,“ sagte er, „wenn nur Ihr ohne Sorgen und Leid 
und Mangel nach Deutschland kommt.“ O du heiliges, lebendig ge— 
wordenes Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: „Verkaufe, 
was du hast, und gieb es denen, die es bedürftig sind, so wirst du 
einen Schatz im Himmel haben.“ Du wirst einst weit oben rechts zu 
erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: „Kommet her, ihr 
Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset; 
ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank und 
gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen.“ — Doch 
der Kauf wurde zu großem Troste für die edeln Gefangenen wieder 
rückgängig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte er auf eine andere 
Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und nötigte sie, 
was er hatte von kostbarem russischen Pelzwerk, mitzunehmen, um 
es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder 
einem Unglück widerführe. 
Den Abschied mag ich nicht beschreiben; keiner, der dabei war, 
vermag es; sie schieden unter tausend Segenswünschen und Thränen 
des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses 
der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen 
unterwegs unaufhörlich noch immer von ihrem Vater in Pensa, und 
als sie in Bialystock in Polen ankamen und Geld antrafen, schickten 
sie ihm dankbar ihre Schuld zurück. Hebel.
	        
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