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Meinem getreuen Volke, das durch eine jahrhundertelange Geschichte in
guten wie in schweren Tagen zu Meinem Hause gestanden, bringe Ich
Mein rückhaltloses Vertrauen entgegen. Denn Ich bin überzeugt, daß
auf dem Grunde der untrennbaren Verbindung von Fürst und Volk,
welch, unabhänen von jeglicher Veränderung im Staatenleben, das un—
vergängliche Erbe des Hohenzollernstammes bildet, Meine Krone allezeit
ebenso sicher ruht, wie das Gedeihen des Landes, zu dessen Regierung
Ich nunmehr berufen bin, und dem Ich gelobe, ein gerechter und in
Freud wie Leid ein treuer König zu sein. Gott wolle Mir seinen Segen
und Kraft zu diesem Werke geben, dem fortan Mein Leben geweiht ist!“
Solchen Gedanken die That folgen zu lassen, war des Kaisers
liebster Wunsch. Wohl versuchte er im treuesten Pflichtbewußtsein die
Schwäche des Körpers zu überwinden; doch die ersterbende Kraft wollte
nicht mehr dazu hinreichen. Schon am 21. März mußte er einen Teil
der Regierungsarbeiten auf die Schultern des Kronprinzen Wilhelm
legen. Wohl war es dem Kaiser möglich, in den nächsten Wochen noch
Ausfahrten 51 unternehmen, auch in Berlin überraschend zu erscheinen,
dem Gottesdienste in der Kapelle zu Charlottenburg beizuwohnen, Vor—
träge en gegen zu nehmen; aber nur seine heldenmütige Selbstbeherrschung
ermö lichle ihm derartiges. Welch ein Leiden! Zur Wortlosigkeit ver—
urtei., angcwiesen auf einen Verkehr durch Zettel mit seinen Räten,
seiner Faminn seiner Umgebung, vom Fieber und von Atemnot zeit—
weilig heimgesucht, den Tod vor Augen — und doch ohne Klage, und
doch von milder Freundlichkeit! Welch ein Heldenmut! „Lerne leiden,
ohne zu klagen!“ Wie ein heiliges Vermächtnis des dahinsiechenden Recken
werden diese Worte, die er seinem Sohne aufschrieb, von dem deutschen
Volke bewahrt werden.
CEinzelne Augenblicke der Freude warfen auf die Leidenszeit
sonni Strahlen. Am 24. Mai wurde in der Schloßkapelle zu Charlotten—
bura bee Trauung des Prinzen Heinrich mit der Prinzessin Irene von
Hessen vollzogen. Eine festliche Versammlung von Fürsten und hohen
Personen war geladen. Auf den Mienen aller prägte sich trotz der frohen
Veranlassung der Ernst des Augenblicks aus. Die alte Kaiserin Augusta
war auch im Rollstuhle zugegen, ganz schwarz, ohne jeden Schmuck.
Es war ein tief ergreifender Augenblick, als die Enkelkinder vor ihr
niederknieten, ihr die Hände zu küssen. Dem anwesenden greisen Feld—
marschall Moltke kamen unwillkürlich die Thränen in die Augen. Dann
trat Kaiser Friedrich ein, „die hohe, stattliche Gestalt ungebeugt, mit
freundlichem Lächeln die Versammlung begrüßend. Nur die Augen
schienen erloschen, und die Atmung war schnell und sehr schwer. Es
war herzzerreißend, ihn mit unerschöpflicher Geduld und Freundlichkeit
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