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höchlichst amüsiert. „Die Wiege?“ wiederholte er. „Wenn das Kind
zum Manne aufgewachsen ist, hat es keine Zeit mehr, an die Wiege
zu denken.“ „Das Herz der Mutter ist eine beständige Wiege,“ bemerkte
dazu die Königin.
5 Mit dieser feinen Wendung leitete sie die Konversation auf die
Mutter Napoleons, Madame Lätitia, für welche der Kaiser, wie die
Königin wußte, eine große Verehrung hegte, dann auch auf die Kaiserin
Josephine, und so ging während des Diners alles glatt ab. Die
Tafel wurde aufgehoben, man stand auf. Die Stunde verrann, und
10 von jeder weiteren Minute hing das Schicksal Preußens ab. Mit
einer gewissen Erregung nahm die Königin wieder das Wort, kehrte
immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück, auf die Friedensver—
handlungen, und hier in diesem beiderseitigen Kampfe von Ein—
wirkungen auf des Kaisers Herz ihrerseits und von berechnendem Ab—
1s weisen seinerseits, hier mag sich der Eindruck von dem gebildet haben,
was er später zu Talleyrand mit den Worten äußerte: „Ich wußte,
daß ich eine schöne Frau sehen würde und eine Königin von großer
Haltung; aber ich fand auch eine Königin zum Bewundern und zugleich
eine der interessantesten Frauen, denen ich je begegnet bin.“
20 Während nach Aufhebung der Tafel die übrige Gesellschaft bei
Musik und Tanz sich vergnügte, trat Napoleon mit der Königin in
eine Fensternische, brach von einem Blumentopf eine Rose und bot
sie ihr an. Die Königin zögerte einen Augenblick, dann, treu ihrer
Absicht, lächelte sie und sagte sanft: „Zum wenigsten mit Magdeburg!“
— „Ich muß Ew. Majestät bemerken,“ war die Erwiderung Napoleons,
„daß es an mir ist zu bieten, an Ew. Majestät anzunehmen oder abzu⸗—
weisen.“ — „Keine Rose ist ohne Dornen, aber diese Dornen sind zu
scharf für mich,“ sagte die Königin und wies die Blume von sich ab.
Die Hoffnung schien jedoch noch nicht ganz von der Königin aufgegeben
zo zu sein, da sie, wie die Oberhofmeisterin in ihren Aufzeichnungen
bemerkt, mit dem Ergebnis des Tages ziemlich zufrieden war. Sie fuhr
an dem Abend nach Piktupöhnen zurück, nachdem sie trotz der vor—
gerückten Abendstunde Hardenberg Bericht über die Zusammenkunft
mit Napoleon erstattet hatte. Am andern Tage nachmittags fuhr
zs die Königin wieder nach Tilsit und mußte hier aus dem Munde des
Königs vernehmen, daß die Mission ihres Herzens bei dem unerbitt—
lichen Sieger mißglückt war. Bei den Friedensverhandlungen, die am
Vormittag des 7. Juli fortgesetzt wurden, zeigte sich der Kaiser ebenso
unerbittlich als zuvor und sagte dem Grafen Goltz rundweg, alles, was
1 er zur Königin gesagt, seien nur leere Redensarten gewesen, die ihn