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nach allen Seiten hin bedacht, sein Schwert für einen Rachekrieg mit Deutschland 
zu schleifen. Mehr als einmal glaubte das französische Volk, der Augenblick dazu 
sei gekommen. Besonders 1878 schlugen die Wogen der nationalen Begeisterung sehr 
hoch. Der General Boulanger versammelte an der Ostgrenze große Truppen- 
massen und ließ sie in Barackenlagern unterbringen. „Das Herz Frankreichs 
zitterte; alles war bereit, und alles voll Vertrauen zu den Führern, bezeugt ein 
französischer Schriftsteller. Allein die zielbewußte, energische Politik Bismarcks 
wußte das Ärgste zu verhüten. Nach dem Sturze des eisernen Kanzlers kam jedoch 
der Zweibund, ein Bund mit Rußland, zustande, der in den Augen des 
französischen Volkes nur gegen Deutschland gerichtet sein konnte. Die Kriegs- 
Partei in Frankreich träumte jetzt nur noch von einem Revanchekriege. Doch 
die Staatsmänner in Petersburg dachten nicht an einen Krieg mit dem Deutschen 
Reiche; sie benutzten die großen Geldsummen, die ihnen Frankreich lieh, zur Durch- 
sührung von Reformen im Innern und zum Bau der Eisenbahn durch Sibirien. 
Nach dem furchtbaren Russisch-japanischen Kriege gingen den Franzosen endlich 
die Augen auf; sie wissen heute, daß ihr Verbündeter ihnen nichts mehr helfen kann. 
Wenn auch die Franzosen vorläufig noch unsere Feinde sind, so müssen wir doch 
anerkennen, daß sie in den letzten dreißig Jahren in der K o l o n i a lp o l i t i k geradezu 
Gewaltiges geleistet haben. Zuerst suchte Frankreich seine Stellung im Mittelmeer 
zu stärken; im Jahr 1881 besetzte es im Einvernehmen mit Bismarck von Algier 
aus Tunis, das Land, das im Altertum der gewaltigen Handelsstadt Kar- 
thago gehört hatte, und nötigte dadurch indirekt Italien, mit Deutschland und 
Österreich den Dreibund zu schließen. Für Faschoda entschädigte es sich durch Besitz- 
ergreisung der Insel Madagaskar und eines größeren Gebietes am südlichen 
Ausgange des R o t e n M e e r e s. Auch in Asien faßte Frankreich festen Fuß; nach 
wechselvollen Kämpfen brachte es über ein Drittel von H i n t e r i n d i e n unter seine 
Herrschaft. Im Jahre 1893 wurde das Negerreich Dahome inGuinea erobert. Zu¬ 
gleich wurden die Besitzungen am Senegal weit in das Innere Afrikas vorgeschoben; 
auch wurde die Kolonie Fran z ösisch-Kongo gegründet. Heutereicht der Ein- 
fluß Frankreichs in dem dunkeln Erdteile vom Mittelmeere bis zum Kongo und 
vom Senegal bis zum Ägyptischen Sudan.So haben die Franzosen seit 1870 ein Kolo¬ 
nialreich geschaffen, das, abgesehen von Rußlands Besitz in Asien, an Umfang 
und Einwohnerzahl nur dem englischen nachsteht. Zugleich aber haben auch 
unsere westlichen Nachbarn gezeigt, daß sie imstande sind, die erworbenen Länder 
wirtschaftlich zu heben. So soll der Handel mit den hinterindischen Kolonien 
allein den Gesamtverkehr Deutschlands mit seinen sämtlichen Besitzungen weitaus 
übertreffen. 
3. Rußland. 
Der russische Besitz in Asien war beständig gewachsen; zu Ende des 19. Jahr¬ 
hunderts reichte er vorn Nördlichen Eismeer bis zu den Grenzen von Persien, 
Afghanistan und China und vom Uralgebirge bis zum Stillen Ozean. Im Jahre 
1891 begann der Bau der großen Sibirischen Eisenbahn. Die Staatsmänner 
in Petersburg hofften, durch sie den russischen Einfluß in Ostasien zu erweitern und
	        
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