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45. Der alte Löwe.
Ein alter Löwe lag kraftlos vor seiner Höhle und erwartete den
Tod. Die Tiere, deren Schrecken er bisher gewesen war, bedauerten
ihn nicht, sie freuten sich vielmehr, daß sie seiner los wurden. Einige
von ihnen, die er einst verfolgt hatte, wollten nun ihren Haß an ihm
auslassen. Der arglistige Fuchs kränkte ihn mit beißenden Reden; der
Wolf sagte ihm die ärgerlichsten Schimpfworte; der Ochs stieß ihn
mit den Hörnern; das wilde Schwein verwundete ihn mit seinen
Hauern, und selbst der träge Esel gab ihm einen Schlag mit seinem
Hufe. Das edle Pferd allein blieb schweigend stehen und that ihm
nichts, obgleich der Löwe seine Mutter zerrissen hatte. „Willst du
nicht,“ fragte der Esel, „dem Löwen auch eins hinter die Ohren
geben?“ Das Pferd antwortete: „Ich halte es für niederträchtig,
mich an einem Feinde zu rächen, der mir nicht mehr schaden kann.“
Lessing.
Freundschaft.
46. Das Schifflein.
1. Ein Schifflein ziehet leise
den Strom hin seine Gleise,
es schweigen, die drin wandern;
denn keiner kennt den andern.
2. Was zieht hier aus dem Felle
der braune Weidgeselle?
Ein Horn, das sanft erschallet,
das Ufer wiederhallet.
3. Von seinem Wanderstabe
schraubt jener Stift und Habe
und mischt mit Flötentönen
sich in des Hornes Dröhnen.
4. Das Mädchen saß so blöde,
als fehlt' ihr gar die Rede;
jetzt stimmt sie mit Gesange
zu Horn- und Flötenklange.
5. Die Rud'rer auch sich regen
mit taktgemäßen Schlägen.
Das Schiff hinunterflieget,
von Melodie gewieget.
6. Hart stößt es auf am Strande,
man trennt sich in die Lande.
Wann treffen wir uns, Brüder,
auf einem Schifflein wieder?
Uhland.
47. Fürst Blücher und sein Jugendfreund.
Held Blücher reiste nach der Erhebung in den Fürstenstand nach
seiner Vaterstadt Rostock, wo er seit vielen Jahren nicht gewesen war.