Full text: Augsburger Lesebuch für die sechste Volksschulklasse

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66. Eine heldenmütige Frau. 2 22 22 22 
in der Geschwindigkeit abbrechen und in einer größern Ent— 
fernung über das Wasser schlagen zu lassen, damit die allzu 
große Nähe der Stadt ihre raublustigen Gäste nicht in Ver— 
suchung führte. Zugleich wurde den Einwohnern aller Ort— 
schaften, durch welche der Zug ging, vergönnt ihre besten 
Habseligkeiten auf das Rudolstädter Schloß zu flüchten. 
Mittlerweile näherte sich der spanische General, von Herzog 
Heinrich von Braunschweig und dessen Söhnen begleitet, der 
Stadt und bat sich durch einen Boten, den er voranschickte, bei 
der Gräfin von Schwarzburg auf ein Morgenbrot zu Gaste. 
Eine so bescheidene Bitte, an der Spitze eines Kriegsheeres 
getan, konnte nicht wohl abgeschlagen werden. Man würde 
geben, was das Haus vermöchte, war die Antwort; seine 
Exzellenz möchten kommen und vorlieb nehmen. Zugleich 
unterließ man nicht des Schutzbriefes noch einmal zu gedenken 
und dem spanischen General die gewissenhafte Beobachtung 
desselben ans Herz zu legen. 
Ein freundlicher Empfang und eine gut besetzte Tafel 
erwarten den Herzog auf dem Schlosse. Er muß gestehen, daß 
die thüringischen Damen eine sehr gute Küche führen und auf 
die Ehre des Gastrechts halten. Noch hat man sich kaum 
niedergesetzt, als ein Eilbote die Gräfin aus dem Saal ruft. 
Es wird ihr gemeldet, daß in einigen Dörfern unterwegs die 
spanischen Soldaten Gewalt gebraucht und den Bauern das 
Vieh weggetrieben hätten. Katharina war eine Mutter ihres 
Volks; was dem ärmsten ihrer Untertanen widerfuhr, war ihr 
selbst zugestoßen. Aufs äußerste über diese Wortbrüchigkeit 
entrüstet, doch von ihrer Geistesgegenwart nicht verlassen, 
befiehlt sie ihrer ganzen Dienerschaft sich in aller Geschwindig— 
keit und Stille zu bewaffnen und die Schloßpforten wohl zu 
verriegeln; sie selbst begibt sich wieder nach dem Saale, wo 
die Fürsten noch bei Tische sitzen. Hier klagt sie ihnen in den 
beweglichsten Ausdrücken, was ihr eben hinterbracht worden 
und wie schlecht man das gegebene Kaiserwort gehalten. Man 
erwidert ihr mit Lachen, daß dies nun einmal Kriegsgebrauch 
sei und daß bei einem Durchmarsch von Soldaten dergleichen 
kleine Unfälle nicht zu verhüten stünden. „Das wollen wir doch 
sehen,“ antwortete sie aufgebracht. „Meinen armen Untertanen 
muß das Ihrige wieder werden, oder, bei Gott! —“ indem sie 
drohend ihre Stimme anstrengte, „Fürstenblut für Ochsenblut!“ 
Mit dieser bündigen Erklärung verließ sie das Zimmer, das in 
wenigen Augenblicken von Bewaffneten erfüllt war, die sich, 
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