Full text: [Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Oberstufe, [Schülerband])

180,a. Der Jammer des dreißigjährigen Krieges. 365 
sich die Leute aus der Umgegend geflüchtet hatten, ward erobert, das Schloß 
geplündert; an den Haaren schleppten die Kroaten die greise Herzogin umher, 
und nur mit Mühe entriß sie der Oberst Grune ihren Händen und der 
äußersten Mißhandlung. Unter den nach Nürtingen entflohenen Geistlichen 
befand sich Georg Wölflin, Pfarrer von Owen. Als die Siadt erstürmt 
war, floh er in den Fürstenstand, die sogenannte Schloßkirche. Ein Spanier 
traf ihn, wie er sich, die Bibel in der Hand, auf die letzte Stunde bereitete. 
Mit solcher Wut durchbohrte ihn der wilde Soldat, daß das Schwert auch 
die Bibel noch durchdrang und die Stelle 2 Timoth. 4,7: „Ich habe einen 
guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten“ 
mit seinem Blut gezeichnet ward. 
5. Die Kaiserlichen nahmen einen festen Platz nach dem andern, der Kaiser 
verschenkte Herrschaften, Städte und Ämter in Württemberg an seine Getreuen. 
Kostbarkeiten, Gerätschaften, Kunstsachen, Bibliotheken, Archive wurden in 
langen Wagenzügen aus dem Lande nach Innsbruck, Wien und München 
geschickt, in den herzoglichen Schlössern und Gärten wurden mutwillige Zer⸗ 
störungen angerichtet. In den Dörfern wurde fast alles vernichtet; die Wohn⸗ 
häuser wurden verbrannt oder doch abgedeckt, die Brunnen verschüttet, selbst 
die Kirchen ihres Schmuckes, ihrer Kanzeln und Altäre beraubt over auch 
gänzlich zerstört, das Haus⸗ und Feldgeräte sowie die Vorräte von Wein und 
Früchten verderbt, das Vieh weggeführt, Reben und Obstbäume umgehauen. 
Die Einwohner selbst wurden aufs unmenschlichste mißhandelt. Man hieb 
einigen die Glieder ab, stach andern die Augen aus, goß ihnen siedendes Vlei 
in Nase, Mund und Ohren, man gab ihnen den sogenannten Schwedentrank 
(Mistjauche) und trat sie, wenn ihnen hiedurch der Leib schwoll, mit Füßen. 
Manche wurden an den Schweifen der Pferde umhergeschleppt, oder schossen 
die Schützen nach ihnen wie nach einer Zielscheibe. Kinder wurden gespießt 
und gebraten. Da entfloh, was noch fliehen konnte, meist nach der Schweiz, 
wo man sie gastfreundlich aufnahm. Viele verbargen sich in den Wäldern, 
Höhlen und Klüften; dorthin aber wurden sie von den Soldaten mit Hunden 
verfolgt wie vom Jäger das Wild, und bald fand man im ganzen Land 
fast nichts als leere, ganz oder halb verbrannte Ortschaften. 
6. Auf diese Verheerung folgte die schrecklichste Hungersnot. Arme schlugen 
sich um das Aas des gefallenen Viehs; selbst Wohlhabendere aßen Brot von 
Eicheln und Baumrinde. Auf die Hungersnot folgte die Pest. In Stutt— 
gart starben im Jahr 1635 nicht weniger als 4379 Einwohner, mehr als die 
Hälfte der damaligen Bevölkerung, in Eßlingen gegen 8000, in Heilbronn 
5518, in Ulm gegen 14400. Von mehr als 400 000 Seelen waren nach 
7 Jahren in ganz Württemberg kaum noch 58 000 übrig; 345 000 Menschen 
hatte das Schwert, der Hunger, die Pest vom Jahr 1634 bis 1641 aufge⸗ 
rieben. Unter allen Ständen aber hat keiner das allgemeine Elend schwerer 
fühlen müssen als der Stand der Geistlichen. Sie wurden vor allen anderu
	        
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