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französische Rückzugssignal, und die Trompeten von Kameraden näher
kommen. Als er aber seinen Leutnant in Todesnot sah, dachte er
daran, was einem braven Soldaten ziemt. Darum faßte er mit fester
Hand seinen Säbel, setzte über den Graben, und ehe der eine
französische Reiter sich decken konnte, schlug ihm die starke West¬
falenfaust eine Wunde, die kein Arzt heilen kann, und als der andere
gegen ihn ausholte, zog er ihm eine Furche über die Stirn, daß
der Mann klirrend niederfiel und den weißeil Kalkstein mit seinem
Blute rötete. Das war das Werk eines Augenblickes, beit der Leut¬
nant brauchte, um fein schäumendes Roß zum Stehen zu bringen.
Dann setzte sich der Soldat fest in den Sattel und fragte, den
Leutnant mit strahlenden Augen ansehend: „Hab' ich's nun recht
gemacht?"
Aber ehe noch das letzte Wort des Leutnants Ohr erreichte,
und ehe dieser rufen konnte: „Ja, ja, du hast es recht gemacht!"
und ehe er ein Wörtchen von dem sagen konnte, was der Soldat
nie aus dem Munde seines Offiziers gehört hatte, kam eine Kugel
aus dem Gebüsch geflogen und fuhr dem tapferen Reiter durch die
Stirn, daß er lautlos vom Pferde sank. Der Leutnant wußte nicht
mehr, was um ihn vorging. Er warf sich weinend über den Ge¬
fallenen. Aber obgleich er ihm ins Ohr schrie: „Ja, du hast es
recht gemacht!" hörte das Ohr so wenig wie der Felsstein, auf dem
das Haupt des Erschossenen ruhte. Wenn heiße Tränen einen Toten
zum Leben erwecken könnten, die Tränen, welche brennend auf das
bleiche Antlitz niederfielen, hätten es vermocht.
Hundertmal hat in ähnlicher Weise der Krieg das Urteil des
einen Menschen über den anderen geändert und gebessert. Die Not
lehrt nicht bloß Gott erkennen und beten, sie lehrt auch Menschen
erkennen nach ihren edelsten, wie nach den schlechtesten Seiten. Wie
gut ist's da, wenn Mitmenschen sich nicht durch Stolz und harte
Worte aneinander versündigen! Richard Laurmann.