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187. Die ABC-Schützen.
(Aus „Des Knaben Wunderhorn“.)
Rate, was ich habe vernommen:
Es sind achtzehn fremde Gesellen ins Land
gekommen,
zumalen schön und säuberlich;
doch keiner einem andern glich.
All ohne Fehler und Gebrechen,
nur konnte keiner ein Wort sprechen,
und damit man sie sollte verstehn,
hatten sie fünf Dolmetscher mit sich gehn.
Das waren hochgelehrte Leut'!
Der erst' erstaunt, reißt's Maul auf weit,
der zweite wie ein Kindlein schreit, 5
der dritte wie ein Mäuschen pfiff,
der vierte wie ein Fuhrmann rief,
der fünft' gar wie ein Uhu thut.
Das waren ihre Künste gut;
damit erhoben sie ein Geschrei,
füllt noch die Welt, ist nicht vorbei.
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188. Nürnberg, eine alte deutsche Stadt.
Mach Meyer.)
Von allen Seiten nimmt sich Nürnberg stattlich aus; doppelte Mauern,
Türme und Gräben umschließen es, wie sie es vormals schützten. Zehn Thore 15
führen in sein Inneres. Wer noch keine alte Stadt gesehen hat und die
Straßen von Nürnberg betritt, dem breitet sich eine neue, recht wunderliche
Welt aus. Neben den Palästen vormaliger Patrizier stehen des Handwerkers
kleine Wohnungen; schmale, alte Häuserchen mit vorspringenden Giebeln und
Erkern lehnen sich nachbarlich an das Prachtgebäude des reichen Kaufmanns
oder Fabrikherrn. Wunderlich sehen die hohen, roten Dächer aus, über denen
sich oftmals ein Türmchen mit altmodischer Wetterfahne erhebt. Schön aus—
gezierte Fenster und Türme, geschnitzte Tragbalken, mannigfach gewundene
Saͤulen und Figuren aller Art, alte Erker mit Bildhauerarbeit, alles fesselt das
Auge des Fremden bei jedem Tritte. Hier prangen Wappen in Stein und 25
Melall über den Thoren, dort stehen Bildsäulen von Schutzheiligen, bald in
Nischen zwischen den Fenstern und auf Postamenten, bald an den Erkern zwischen
den Stockwerken. Da sind oft Fenster von dreierlei Größe an ein und demselben
Hause, und zwar bald nahe, bald fern von einander stehend. Die meisten
dieser alten Nürnberger Häuser sind unten von Stein, in den oberen Teilen 80
aber von Holz und Fachwerk erbaut; die zu Tage liegenden Balken sind kunst⸗
voll geschnitzt, und das Ganze ist sehr dauerhaft und stattlich.
Doch wir treten in eins dieser mittelalterlichen Häuser, welches vormals
einem reicheren Bürger gehört haben mag. Die schwere Thür öffnet sich müh—
sam, und wir gelangen in einen großen dunklen Raum. Die ausgeschnitzte breite 35
Treppe führt zu einem Söller, welcher das erste Stockwerk einfaßt. Das steinerne
Geländer ist von gotischer Arbeit. Zierlich geschnitzte Säulen tragen die Decke.
Oft tritt aus der Mitte der Galerie noch ein Erker weit heraus. Im Hofe
plätschert in zierlicher Einfassung ein Springbrunnen. Die Zimmer im Innern
des Hauses sind hoch und geräumig, dabei altertümlich ausgetäfelt oder wohl 40
gar mit kunstreich gewirkten Tapeten behangen. Glasschränke stehen an den
Wänden und in ihnen kostbare Gefäße von buntem Porzellan, feine Deckelgläser,
Humpen und Becher mit Sinnsprüchen und Familienwappen. In den großen,
glänzenden, gebohnten Schränken und den zierlich ausgelegten Kommoden liegt
das feine Linnen, während die Küchen von spiegelblank geputztem Kupfer- und 45