Full text: Frankfurter Lesebuch für Fortbildungsschulen

22 
4— 
zu Hause ist. Es gibt reln eine ganze Reihe von Berufen, die an 
sich schon so geartet sind, daß sie nur in kunstgewerblicher Art be— 
lrieben werden können. Dahin gehören z. B. die Goldschmiederei, 
die Glasmalerei, die Farben-Lithographie und manche andre. Bei 
diesen Berufen gibt es keine Erzeugnisse, die nur die nackte Zweckform 
haben; denn die Brosche, die Uhrkette, das gemalte Kirchenfenster, das 
farbige Wandbild sind eben keine Gebrauchsgegenstände, sondern an 
sich schon Zierstücke. Nichtsdestoweniger hängt aber auch an ihrer 
Anfertigung eine solche Last von Händwerker-Erfahrung, daß ein 
junger Mann, der diese Berufe betreiben will, sie ebenfalls ord— 
nungsmäßig von unten auf erlernt haben muß. 
Nun gibt es ja allerdings junge Leute, die sich vor der Werkstatt 
fürchten. Wie heißt es doch in dem alten Liedchen: „hänschen will 
buchbinder werden, riecht zu sehr der Kleister“ u. s. w. Vielleicht 
hat der Bub' einen guten Freund, der von der Schule aus in ein 
Ladengeschäft als Lehrling eintritt, während er zu einem Weißbinder 
kommf. Jetzt ist ihm das peinlich, wenn er, im Erbeitskittel einen 
handkarren mit Farbtöpfen vor sich herschiebend, seinem Freund be— 
gegnet, der im Tuchrock und Hütchen als „herr“ an ihm vorüber— 
geht. Eines schönen Tags läuft er aus der Lehre und tritt in eine 
Lunstgewerbeschule ein (es gibt leider auch Schulen, die solche Bürsch— 
chen nehmen). Nun ist er Student und lernt, was er da lernen 
kann, nämlich hübsch zeichnen. Wenn er nun glaubt, genug gelernt 
zu haben, so macht er sich selbständig und nennt sich „Zeichner für 
Kunstgewerbe.“ Das geht gut in einem einzigen Fall, nämlich wenn 
er ein sehr, sehr großẽs Talent hat, so eins von den ganz großen 
und vielseitigen Talenten, die alles können. Solche Menschen 
gibt's aber leider nur etwa so viel, wie es weiße Kaben gibt. 
Nehmen wir also an, er sei ein Durchschnittsmensch. Er hat aber 
Glück, und es kommen die Besteller: heute ein Möbelhändler, der ein 
Speisezimmer gezeichnet haben will, morgen ein Lithograph um Hus- 
stattung eines Preiskurants, übermorgen ein Kunstschlosser um einen 
Entwurf für ein Gartentor, ein Stickereigeschäft um ein Muster für 
eine Klavierdecke. Wenn er jeden seiner Besteller ehrlich, d. h. so 
bedienen wollte, daß dieser seinen Entwurf, den er mit gutem Geld 
bezahlt, sogleich verwenden kann, so müßte er Schreiner, Lithograph, 
Kunstschmied und Sticker sein; er müßte alle diese Geschäfte praktisch 
erlernt haben, um zu wissen, worauf es bei jedem ankommt, wie 
man mit möglichst sparsamer Arbeit den Arbeilsstoff, das Holz, das 
Eisen u. s. w. zur höchsten Wirkung bringen kann. Da er das aber 
nicht weiß, so werden die Besteller bald merken, daß sie mit seinen 
Entwürfen nicht allzuviel anfangen können. Sie haben sich vielleicht 
ganz hübsche Zeichnungen gekauft; wenn sie aber damit in die Werk— 
statt kommen, sehen sie, daß sie die ganze Herrlichkeit eigentlich erst 
für ihr Geschäft einrichten ünd umarbeiten müssen. Wenn das nun 
in einer großen Stadt vorkommt, wo neben unserm Zeichner noch 
andre sitzen, die inn shne für ein Spezialfach sind, so wird 
beim nächsten Mal der Schreiner zu einem gehen, der früher selbst
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.