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zu Hause ist. Es gibt reln eine ganze Reihe von Berufen, die an
sich schon so geartet sind, daß sie nur in kunstgewerblicher Art be—
lrieben werden können. Dahin gehören z. B. die Goldschmiederei,
die Glasmalerei, die Farben-Lithographie und manche andre. Bei
diesen Berufen gibt es keine Erzeugnisse, die nur die nackte Zweckform
haben; denn die Brosche, die Uhrkette, das gemalte Kirchenfenster, das
farbige Wandbild sind eben keine Gebrauchsgegenstände, sondern an
sich schon Zierstücke. Nichtsdestoweniger hängt aber auch an ihrer
Anfertigung eine solche Last von Händwerker-Erfahrung, daß ein
junger Mann, der diese Berufe betreiben will, sie ebenfalls ord—
nungsmäßig von unten auf erlernt haben muß.
Nun gibt es ja allerdings junge Leute, die sich vor der Werkstatt
fürchten. Wie heißt es doch in dem alten Liedchen: „hänschen will
buchbinder werden, riecht zu sehr der Kleister“ u. s. w. Vielleicht
hat der Bub' einen guten Freund, der von der Schule aus in ein
Ladengeschäft als Lehrling eintritt, während er zu einem Weißbinder
kommf. Jetzt ist ihm das peinlich, wenn er, im Erbeitskittel einen
handkarren mit Farbtöpfen vor sich herschiebend, seinem Freund be—
gegnet, der im Tuchrock und Hütchen als „herr“ an ihm vorüber—
geht. Eines schönen Tags läuft er aus der Lehre und tritt in eine
Lunstgewerbeschule ein (es gibt leider auch Schulen, die solche Bürsch—
chen nehmen). Nun ist er Student und lernt, was er da lernen
kann, nämlich hübsch zeichnen. Wenn er nun glaubt, genug gelernt
zu haben, so macht er sich selbständig und nennt sich „Zeichner für
Kunstgewerbe.“ Das geht gut in einem einzigen Fall, nämlich wenn
er ein sehr, sehr großẽs Talent hat, so eins von den ganz großen
und vielseitigen Talenten, die alles können. Solche Menschen
gibt's aber leider nur etwa so viel, wie es weiße Kaben gibt.
Nehmen wir also an, er sei ein Durchschnittsmensch. Er hat aber
Glück, und es kommen die Besteller: heute ein Möbelhändler, der ein
Speisezimmer gezeichnet haben will, morgen ein Lithograph um Hus-
stattung eines Preiskurants, übermorgen ein Kunstschlosser um einen
Entwurf für ein Gartentor, ein Stickereigeschäft um ein Muster für
eine Klavierdecke. Wenn er jeden seiner Besteller ehrlich, d. h. so
bedienen wollte, daß dieser seinen Entwurf, den er mit gutem Geld
bezahlt, sogleich verwenden kann, so müßte er Schreiner, Lithograph,
Kunstschmied und Sticker sein; er müßte alle diese Geschäfte praktisch
erlernt haben, um zu wissen, worauf es bei jedem ankommt, wie
man mit möglichst sparsamer Arbeit den Arbeilsstoff, das Holz, das
Eisen u. s. w. zur höchsten Wirkung bringen kann. Da er das aber
nicht weiß, so werden die Besteller bald merken, daß sie mit seinen
Entwürfen nicht allzuviel anfangen können. Sie haben sich vielleicht
ganz hübsche Zeichnungen gekauft; wenn sie aber damit in die Werk—
statt kommen, sehen sie, daß sie die ganze Herrlichkeit eigentlich erst
für ihr Geschäft einrichten ünd umarbeiten müssen. Wenn das nun
in einer großen Stadt vorkommt, wo neben unserm Zeichner noch
andre sitzen, die inn shne für ein Spezialfach sind, so wird
beim nächsten Mal der Schreiner zu einem gehen, der früher selbst