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Last. Der Mond war herausgetreten und warf sein sanftes Licht
dureh die Stàämme, und es war, als ob auf den Strahlen des Mondes
die Töõne eines herzergreifenden Liedes getragen würden. Ganz nahe
blies ein Posthorn dié Weise des Liedes: „Denkst du daran?“ Der
5 Wiederhall in Thal und Feld gab es zurück, und es klang, als ob
die Bãume und die Berge sãngen: „Denkst du daran?“ Dem Tragenden
war's, wie wenn die Leiche auf seinem Rücken lebendig würde und
ihn erwürge. Schnell warf er die Last ab und sprang davon, immer
weiter und weiter. — Endlich am Strome blieb er stehen und lauschte.
10 Alles war still, nur die Wellen flossen schnell dahin, als eilten sie
fort von dem Mörder. Er ärgerte sich jetzt, dals er die Spuren
seiner That nicht vertilgt hatte, und dals er sich von sonderbarer
Furcht forttreiben liels. Er eillteé zurück, wanderte hin und her,
bergauf und bergab; der Schweils rann ihm von der Stirne; die
15 Glieder wurden ihm schwer wie Blei. Mancher Nachtvogel fubr
flatternd auf, wenn er so durchs Dickicht drang; aber nirgends fand
er den Leichnam. Er hielt an, um sich zurecht zu finden; doch
kaum war er drei Schritté gegangen, so war er in der Irre. Es
flimmerte vor seinen Augen, und es war ihm, als ob die Bàume auf
20 und nieder wandelten und ihm den Weg verstellten. Der Norgen
brach endlich an; die Vögel schwangen sich auf und sangen ihbre
hellen Lieder; vom Thale und aus den Bergen hörte man Peitschen
knallen. Der Mörder machte sich eiligst davon.
2. Die Leiche wurde gefunden und nach dem Dorfe gebracht, in
25 dessen Gemarkung sie lag. An der rechten Schläfe trug der entseelte
Körper Spuren eines Schlages wie von einem scharfen Steine. RKein
Wanderbuch, kein Kennzeichen war zu finden, aus dem man die
Herkunft des Entseelten entnebmen konnte. Auf dem Kirchhofe, der
neben der Kirche hoch oben auf dem Hügel lag, sollte des andern Nages
30 der tote Fremde begraben werden. Eine unzählige Menge Menschen
folgte dem Zuge. Sie waren aus allen benachbarten Dörfern gekommen;
jeder wollte seine Unschuld, seine Trauer und seine Teilnabme be—
kunden. Still, ohne laute Klage, nur mit tiefem Weh im Herzen,
bewegte sich der Zug den Berg hinan. Der Geistliche hielt eine
35 ergreifende Rede. Zuerst redete er den Entseelten an und sprach:
„Auf dem Wege bist du gefallen. Wer weils, wohin dein Herz
sich sehnte, welches Herz dir entgegenschlug? Nöge der, der alles
kennt und alles heilt, Ruhe und Frieden in die Seelen der Deinigen
senden! Unbekannt bist du gefallen von unbekannter Hand. Niemand
10 weils, woher du kamst, wohin du gingst; aber er, der deinen Eingang
und deinen Ausgang kennt, hat dich Bahnen hinansteigen lassen, die
unser Auge nie milst. Zu welcher Kirche du gehörtest, welche
Sprache du redetest, wer mag den stummen Mund fragen? Du stebst
jetzt vor ihm, der über allen Kirchen thront, den alle Sprachen
nennen und doch nicht zu fassen vermögen!“ — „Erhebt mit mir
eure Hände!“ fubhr der Geistliche zu den Versammelten fort, und
alle hoben die Hände empor. Dann sprach er wieder: „Wir erheben